Alternativlosigkeit als Methode: Die Stellungnahme der Deutschen Akademien der Wissenschaften zur Agrarpolitik

Die deutschen Akademien der Wissenschaften (DAW) haben kürzlich eine „Stellungnahme“ zum Thema „Biodiversität und Management von Agrarlandschaften“ herausgegeben DAW (2020). Finanziert wurde die Studie aus Mitteln der Leopoldina, die als Nationale Akademie der Wissenschaften ihre Grundfinanzierung durch den Bund und das Land Sachsen-Anhalt erhält. Am Beginn der Stellungnahme steht die empirische Einschätzung, dass die „Agrarlandschaft […] seit geraumer Zeit in besonderem Maße von einem dramatischen Rückgang von Tier- und Pflanzenarten betroffen“ ist. Nach eigenem Bekunden fasst die Stellungahme „den aktuellen Stand des Wissens zum Biodiversitätsverlust und seinen Ursachen und Folgen zusammen“. Aus diesem Befund leiten die Akademien Handlungsempfehlungen ab, die sowohl auf eine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft als auch auf einen „grundlegenden gesellschaftlichen Wandel“ abzielen.

Bestandsaufnahme der Biodiversitätsverluste

Die Stellungnahme beginnt mit einer Bestandsaufnahme der Biodiversitätsverluste in der Agrarlandschaft. Dabei folgen die Akademien der üblichen Definition, wonach eine Agrarlandschaft eine wesentlich vom Menschen gestaltete, hauptsächlich landwirtschaftlich genutzte Landschaft ist. Mangels umfassender Langzeitbeobachtungsstudien für ein breiteres Spektrum von Tier- und Pflanzenarten fokussiert die Bestandsaufnahme auf die Entwicklung der Vogel- und Insektenbestände, sowie einige Regionalstudien zu Pflanzenbeständen. Die Entwicklung der Vogelbestände wird auf EU-Ebene durch das Fauna-Flora-Habitat Monitoring (EU-Verordnung (1992)) der Mitgliedsstaaten regelmäßig erfasst. Die Daten werden vom European Bird Census Council (EBCC) gesammelt und veröffentlicht. Abbildung 1 entspricht Abbildung 2 der Stellungnahme. Der Rückgang der Vögel der Agrarlandschaft beträgt seit 1990 demnach 31,5 Prozentpunkte.

Abbildung 1 – Bestände von 167 Vogelarten in 26 Europäischen Ländern: 1990 – 2015Quelle: DAW (2020), Abbildung 2

Durch die Verkürzung der Ordinate auf das Intervall 50% bis 100% wird die Entwicklung in Abbildung 1 etwas „dramatisiert“. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der Bestände auf Basis der EBCC-Zahlen seit 1980. Wie man erkennen kann, fand der stärkste Rückgang des Bestandes der Vögel in der Agrarlandschaft mit 36,2 Prozentpunkten (auf jährlicher Basis 4,4%) in den 80er Jahren statt. Seitdem hat sich der jährliche Rückgang deutlich verlangsamt. In den letzten 10 Jahren des Betrachtungszeitraums (2008-2018) betrug er noch 3,2 Prozentpunkte (auf jährlicher Basis 0,7%) mit weiter abnehmender Tendenz.

Abbildung 2 – Bestände von 167 Vogelarten in 26 Europäischen Ländern: 1980 – 2018Quelle: European Bird Census Council (EBCC)

Schaut man auf die Zahlen für Deutschland in Abbildung 3, die vom Umweltbundesamt dem EBCC zur Verfügung gestellt werden, so zeigt sich, dass der Bestand der Vögel der Agrarlandschaft gegen Ende des Betrachtungszeitraums kaum noch sinkt. Die stärksten Rückgänge fanden auch in Deutschland in den 70er und 80er Jahren statt. Der Bestand an Vögeln des Waldes, der Binnengewässer und der Siedlungen ist in den letzten zehn Jahren gestiegen. Der Bestand an Waldvögeln liegt mittlerweile wieder über dem Wert von 1970.

Abbildung 3 – Bestand repräsentativer Vogelarten in verschiedenen Landschaftstypen in Deutschland: 1970 – 2016Quelle: Umweltbundesamt

Die Zahlen des Umweltbundesamtes beruhen auf Erhebungen des Deutschen Dachverbandes der Avifaunisten (DDA). Sie resultieren aus Schätzungen und Hochrechnungen der Mitglieder dieses Verbandes. In ihrer Stellungnahme verweisen die Akademien darauf, dass nach Angaben des DDA die Zahl der Feldlerchen, Stare und Kiebitze zwischen 1998 und 2009 um jeweils mehr als 36% zurückgegangen ist. Der DDA schätzt in der von den Akademien zitierten Dokumentation „Vögel in Deutschland (Tabelle S. 30-37)„, dass die Bestände dieser Vögel um jährlich mehr als 3 % gesunken sind. Das wäre also bezogen auf den Zeitraum 1998-2009 ein Rückgang von mehr als 28,5% ((1-0,03)^11-1 = -28,5 % > 12 * -3%). Die genauen Bestandshöhen sind jedoch unbekannt. Der DDA gibt für die Feldlerche eine Bandbreite von 1,3 bis 2,0 Millionen Exemplare, für den Kiebitz eine Bandbreite von 63 bis 100 Tausend Exemplare und für den Star eine Bandbreite von 2,95 bis 4,05 Millionen Exemplare an.

Bei der Analyse der Entwicklung der Insektenbestände verweisen die Akademien vor allem auf die bekannte Studie auf Basis der Daten des Entomologischen Vereins Krefeld (Hallmann et al. (2017)). Danach sind die Bestände von Fluginsekten gemessen anhand der Biomasse in deutschen Naturschutzgebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg von 1989 bis 2016 im Mittel um 76% gesunken. Das entspricht einer jährlichen Veränderung von (1-0,76)^(1/27)-1 = -5,1%. Die Analyse schließt Habitat- und Klimaveränderungen als Erklärung aus, weil sie nicht stark genug seien, um einen solch starken Rückgang zu erklären. Stattdessen wird die Vermutung geäußert „Agricultural intensification (e.g. pesticide usage, year-round tillage, increased use of fertilizers and frequency of agronomic measures) that we could not incorporate in our analyses [Hervorhebung d.Verf.], may form a plausible cause“ (Hallmann et al. (2017), S. 15). Die Akademien verteidigen Kritik an der Studie von Hallmann et al. (2017) mit dem Hinweis, dass „mithilfe streng standardisierter Erfassungsmethoden auch in anderen Studien gezeigt werden [konnte], dass der Insektenrückgang sowohl im Grünland als auch in Wäldern stattfindet“. Sie verweisen dabei auf eine Studie von Seibold et al. (2019), die über die Jahre 2008 bis 2017 auf jährlichen Stichproben an 150 Grünland- und 140 Waldstandorten in Baden-Württemberg, Thüringen und Brandenburg beruht. In dieser Studie findet sich für die Grünlandstandorte über den Gesamtzeitraum ein Rückgang der Insektenstände in Höhe von 67% gemessen an der Biomasse. Dies entspricht einem jährlichen Rückgang in Höhe von 11,6%. Übertragen auf den Zeitraum der Hallmann et al. (2017) Studie hätte dann von 1989 bis 2016 ein Rückgang von 96% resultieren müssen. Seibold et al. (2019), S.672, weisen selbst darauf hin, dass „sensitivity analyses that removed or reshuffled years showed that the decline was influenced by, but not solely dependent on, high numbers of arthropods in 2008“ (vgl. Abbildung 4). Ab dem Jahr 2007 zeigt sich in den Biomasse-Zahlen von Hallmann et al. (2017) kein rückläufiger Trend mehr (Hallmann et al. (2017, Figure 2 A)). Wie man sieht, finden sich die hohen Werte für 2008 in den Daten von Seibold et al. (2019) nicht in den Daten von Hallmann et al. (2017, Figure 2 A). Eine detaillierte Analyse dieser und weiterer Datenprobleme beider Studien findet sich in Novo (2020a).

Abbildung 4 – Trends der Biomasse von Insekten in Grünland- und Waldstandorten in DeutschlandQuelle: Seibold et al. (2019, Figure 1(b))

Seibold et al. (2019) haben bei der Schätzung der Trendlinien in Abbildung 4 lokale Wetterbedingungen, Landnutzungsintensitäten und Landschaftsnutzungstypen berücksichtigt. Landnutzungsintensitäten wurden mit einem Index erfasst, in dem Informationen Weide-, Mäh- und Düngeintensität einflossen. Landschaftsnutzungstypen wurden erfasst über die Größe von Ackerland, Weideland und Wäldern in einem Umkreis von 0,25 bis 2 km. Dabei zeigte sich, dass die Landnutzungsintensität – also auch die Düngeintensität – keinen signifikanten Einfluss auf den gemessenen Trend hatte. Dagegen führte ein höherer Anteil an Ackerland in der Landschaft zu einem stärker abnehmenden Trend der Biomasse.

Die Akademien erwähnen in ihrer Stellungnahme auch, dass in der Metastudie von van Klink et al. (2020), in der 166 Einzelstudien (darunter auch Hallmann et al. (2017)) an weltweit 1676 Standorten mit einer Median Zeitspanne von 15 Jahren ausgewertet wurden, ein durchschnittlicher Rückgang der Bestände von Landinsekten von ca. 9% pro Jahrzehnt gemessen wurde. Der genaue Wert lautet 8,81%. Dies entspricht dann einer jährlichen Veränderung von -0,92% und einer Gesamtveränderung bezogen auf den Zeitraum 1989 bis 2016 von -22%. Die Akademien erwähnen diese deutlichen quantitativen Unterschiede in den zitierten Studien nicht (Hallmann et al. (2017): -76 %, Seibold et al. (2019): -96%, Klink et al. (2020): -22%). Die Behauptung der Akademien „Am stärksten fallen [nach der Studie von Klink et al. (2020), d. Verf.] die Bestandsabnahmen dabei in Nordamerika und Europa aus“ trifft nicht zu. Die Rangfolge der Kontinente beginnend mit der stärksten Bestandsabnahme lautet nach Klink et al. (2020) , Fig. 2B: 1. Nordamerika, 2. Lateinamerika, 3. Ozeanien, 4. Europa, 5. Asien. Klink et al. (2020) untersuchen auch den Einfluss unterschiedlicher Landnutzungsformen auf die Trendwerte. Sie finden dabei heraus, dass über alle 166 Einzelstudien ihrer Metastudie hinweg die Trends umso negativer ausfallen, je stärker eine Nutzung als Siedlungsraum vorliegt. Die Nutzung als Anbaufläche für Nutzpflanzen führt auf der lokalen Ebene jedoch zu weniger negativ ausgeprägten Trends (dazu ausführlicher Novo (2020b)). Die Akademien erwähnen dies nicht. Die Akademien weisen ebenfalls nicht darauf hin, dass Klink et al. (2020) in ihrer Metastudie weltweit ein signifikant positives Wachstum der Bestände von Süßwasserinsekten von 1,08% pro Jahr gefunden haben – obwohl der Gewässerschutz in der agrarpolitischen Debatte derzeit eine wichtige Rolle spielt.

Insgesamt sprechen diese Studien dafür, dass die Vielfalt und Bestände von Landinsekten und Vögeln in der Agrarlandschaft in langfristiger Betrachtung schrumpfen. Dabei zeigt sich am aktuellen Rand eher eine Stabilisierung als ein weiterer starker Rückgang. Wie stark die Rückgänge aber tatsächlich sind, lässt sich aufgrund der quantitativen Unterschiede der Ergebnisse der einzelnen Studien noch nicht sagen. Um hier zu verlässlichen Ergebnissen zu kommen, dürfte der Aufbau eines Monitoringsystems mit standardisierten und reproduzierbaren Beobachtungsverfahren notwendig sein. Dass sich am aktuellen Rand ein derart „dramatischer Rückgang“ der biologischen Vielfalt abzeichnet, „dass in Zukunft ernsthafte Folgen für die Funktionsfähigkeit der Agrarökosysteme und für das Wohlergehen des Menschen zu erwarten sind“ (DAW (2020), S. 47), lässt sich den Daten nicht entnehmen. Nach der Studie von (Hallmann et al. (2017)) sinken die Insektenbestände bereits seit den 90er Jahren. Wenn dieser Rückgang „ernsthafte Folgen für die Funktionsfähigkeit der Agrarökosysteme“ hätte, müsste sich das längst in den landwirtschaftlichen Produktionskennziffern niedergeschlagen haben. Davon kann jedoch keine Rede sein (vgl. Abbildung Getreideproduktion: 1961-2017). Die Akademien liefern auch keinerlei empirische Evidenz dafür, dass es einen kritischen Schwellenwert für Insektenbestände gibt, bei dessen Unterschreitung die Agrarökosysteme schlagartig zusammenbrechen.

Selektive Wahrnehmung des Forschungsstandes

Die Akademien gehen davon aus, dass „ein gesellschaftlicher Konsens [besteht], dass die biologische Vielfalt für künftige Generationen zu erhalten ist, selbst wenn deren tatsächlicher Wert im Einzelnen heute noch strittig oder nicht bekannt ist“ (DAW (2020), S. 18). Sie sind davon überzeugt, dass dieses Ziel nur über eine Extensivierung der Landwirtschaft, vorzugsweise durch ökologische Landwirtschaft, erreicht werden kann (DAW (2020), S. 50). Den umgekehrten Weg, einer Intensivierung der Landwirtschaft bei gleichzeitiger Renaturierung, der vom Produktivitätsfortschritt ermöglichten Flächenfreisetzungen, diskutieren sie nicht.

Das Problem der Extensivierung liegt in ihrem höheren Flächenverbrauch je Ertragseinheit. Zwar verweisen die Akademien auf eine Studie von Lakner und Breustedt (2017), wonach die Ertragslücke je landwirtschaftlicher Nutzfläche in der ökologischen Landwirtschaft im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft zwischen 20 bis 25 Prozent liegt. Trotzdem halten sie den zusätzlichen Flächenverbrauch bei einem Übergang zur ökologischen Landwirtschaft anscheinend für nicht so bedeutsam weil „der Ökolandbau mit 69 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche weltweit nur eine äußerst kleine Fläche (die Fläche entspricht einem globalen Anteil von 1,4 Prozent) [bewirtschaftet]“ (DAW (2020), S. 37). Die „Logik“ dieser Argumentation ist nicht nachvollziehbar. Unterstellt man einen mittleren zusätzlichen Flächenverbrauch der ökologischen Landwirtschaft von 25% (vgl. Abbildung 5), dann bedeutet ein globaler Anteil von 1,4 Prozent der ökologischen Landwirtschaft, dass bei einem vollständigem Übergang zur ökologischen Landwirtschaft der globale Flächenverbrauch um ((100% – 1,4%) * 1,25) – 100% = 23,25 % steigen müsste. Ein aktuell kleiner Anteil der ökologischen Landwirtschaft impliziert also einen großen Anstieg des Flächenverbrauchs beim Übergang zur ökologischen Landwirtschaft. Ein aktuell großer Anteil der ökologischen Landwirtschaft würde dagegen einen kleinen Anstieg des Flächenverbrauchs implizieren. Nur wenn die ökologische Landwirtschaft bereits einen Anteil von 100% hätte, würde ein „Übergang“ zur ökologischen Landwirtschaft also keinen weiteren Flächenverbrauch mehr verursachen.

Abbildung 5 – Ertragslücke der ökologischen LandwirtschaftQuelle: Meemken et al. (2018)

Dabei ist der in den Studien von Abbildung 5 zugrunde gelegte zusätzliche Flächenverbrauch der ökologischen Landwirtschaft wahrscheinlich deutlich zu niedrig angesetzt, da die meisten Studien auf Experimentaldaten eines Ökolandbaus „bester Praxis“ beruhen. Das Wissen dazu ist in weniger entwickelten Ländern aber typischerweise nicht vorhanden, so dass der zusätzliche Flächenverbrauch dort auch bei 50% oder mehr liegen könnte. Auch in Deutschland sprechen Berichte aus der landwirtschaftlichen Praxis (Die Zeit (2013)) dafür, dass die tatsächliche Ertragslücke deutlich größer sein könnte als 25%. Interessanterweise kommt eine Studie von Treu et al. (2017) auf Basis von Daten der Nationalen Verzehrstudie II zu dem Ergebnis, dass der Flächenverbrauch bei einer überwiegend ökologischen Ernährung ist in Deutschland rund 40% höher als ist, als der Flächenverbrauch bei konventioneller Ernährung. Diese Studie wird von den Akademien nicht erwähnt.

Die Akademien zitieren Studien, die belegen, dass auf ökologisch bewirtschafteten Agrarflächen eine höhere Biodiversität herrscht als auf konventionell bewirtschafteten Flächen, wie z.B. Geiger et al (2010) und Lüscher et al. (2014). Das dürfte in der Literatur in der Tat weitgehender Konsens sein. Unerwähnt lassen die Akademien aber Studien, die darauf hinweisen, dass diese Biodiversitätsgewinne nicht ausreichen, um die Biodiversitätsverluste durch den höheren Flächenverbrauch zu kompensieren (Mondelaers et al. (2009), Gabriel et al. (2013), Schneider et al. (2014)). Die Autoren Gabriel et al. (2013) fassen ihren Befund wie folgt zusammen „Grain production per unit area was 54% lower in organic compared with conventional fields. When controlling for yield, diversity of bumblebees, butterflies, hoverflies and epigeal arthropods did not differ between farming systems, indicating that observed differences in biodiversity between organic and conventional fields are explained by lower yields in organic fields and not by different management practices per se [Hervorhebung d.Verf.].“ Mit ein wenig Mathematik kann man zeigen, dass die biologische Landwirtschaft per saldo nur dann besser für die Biodiversität ist, wenn die relative Biodiversitätslücke der konventionellen Landwirtschaft größer ist als die relative Ertragslücke der biologischen Landwirtschaft. Aus empirischer Sicht spricht einiges dafür, dass diese Bedingung in der Regel nicht erfüllt ist, wenn die von der konventionellen Landwirtschaft ermöglichten Flächeneinsparungen zugunsten der Biodiversität renaturiert werden.

Die Akademien zitieren den Befund von Gillhaus et al. (2017), wonach „sowohl die Artenzahl als auch die Anzahl an Rote-Liste-Arten negativ durch Düngung beeinflusst werden“ (DAW (2020), S. 27), lassen jedoch unerwähnt, dass nach einer Studie von Mondelaers et al. (2009) aufgrund des höheren Flächenbedarfs je Ertragseinheit in der ökologischen Landwirtschaft auch die Nitratauswaschung global betrachtet 5% höher ist, während die Studie von Tuomisto et al. (2012) bei einer Auswertung von auf Europa beschränkten Einzelstudien auf einen Wert von um 49% höhere Nitratauswaschung je Ertragseinheit kommen. Auch die Ammoniakemissionen sind im Ökolandbau nach Tuomisto et al. (2012) in Europa rund 11% höher. Ebenso ist je Flächeneinheit gerechnet das Eutrophierungspotenzial der ökologischen Landwirtschaft durchschnittlich 36% höher und das Versauerungspotenzial 13% höher, wie Clark et al. (2017) in einer Meta-Studie auf Basis von 164 Einzelstudienherausgefunden haben. Das deutet darauf hin, dass der höhere Flächenbedarf je Ertragseinheit die Schadstoffbelastung gewissermaßen „verdünnt“. Von einer Stellungnahme, die letztendlich vom Steuerzahler finanziert wird, hätte man sich zumindest eine kritische Diskussion der unterschiedlichen Ergebnisse zu den Folgewirkungen der ökologischen Landwirtschaft gewünscht. In der Psychologie spricht man von „Selektiver Wahrnehmung“, wenn „die Wahrnehmung durch begrenzte, unterschiedliche oder einseitige Aufmerksamkeit im Hinblick auf die angebotenen Informationen oder Reize eingeschränkt ist“ (Wikipedia (2020)).

Derzeit werden etwa 50% der eis- und ödlandfreien globalen Landfläche landwirtschaftlich genutzt (FAO nach OurWorldinData (2019)), rund 37% sind Waldfläche, 11% Buschland, 1% Süßwasserfläche und 1% Siedlungsland (Abbildung 6). Bei einem Übergang zur ökologischen Landwirtschaft würde der Anteil der Landwirtschaft also mindestens auf 50% * 1,23 = 61,5% steigen. Nach den World Population Prospects (2019) der Vereinten Nationen wird die Weltbevölkerung von 2020 bis 2050 um rund 25% und bis 2100 um rund 40% wachsen. Ab dem Jahr 2100 wird dann aufgrund des demographischen Paradoxons mit einem langsamen Rückgang der Weltbevölkerung gerechnet. Da der Produktivitätsfortschritt in der ökologischen Landwirtschaft wegen des Verbotes von Kunstdünger, synthetischen Herbiziden und Pestiziden sowie genetisch modifizierter Organismen sehr begrenzt sein dürfte, wäre bei einem vollständigem Übergang zur ökologischen Landwirtschaft also mindestens mit einem Anstieg der landwirtschaftlichen Nutzfläche bis 2050 auf ungefähr 61,5% * 1,25 = 76,9% und bis 2100 auf 61,5% * 1,4 = 86,1% zu rechnen. Dann könnten langfristig also nur 14% der bewohnbaren Landfläche der Erde der Natur überlassen bleiben. Der Plan, 30% der Landfläche unter Naturschutz zu stellen, zu dem sich gerade unter Mitwirkung von Bundeskanzlerin Merkel die „High Ambition Coalition for Nature and People“ bekannt hat, wäre bereits vor 2050 nicht mehr realisierbar.

Abbildung 6 – Globale Landnutzung: 2019Quelle: Our World in Data

Eine einfache Fortschreibung des Flächenbedarfes auf Basis der Bevölkerungsentwicklung ist jedoch sehr konservativ. Realistischerweise muss man davon ausgehen, dass die Pro-Kopf Einkommen ebenfalls steigen werden und deshalb auch die Pro-Kopf Nachfrage nach Lebensmitteln. Die FAO geht in ihrer mittleren Projektion, umgerechnet auf den Zeitraum 2020 – 2050, von einem Anstieg der Lebensmittelnachfrage von 33,4% aus; die meisten Prognosen in der Fachliteratur liegen jedoch noch darüber in einem Intervall von 36,2% bis 57,7% (Valin et al. (2013)). Es ist kaum vorstellbar, dass ein solcher Nachfrageanstieg durch eine weitere Extensivierung auf Basis der ökologischen Landwirtschaft befriedigt werden kann. Ebenso wenig ist es vorstellbar, dass die zunehmende Zahl von Menschen, denen es weltweit gelingen wird, die Armut zu überwinden, sich begeistert dem Appell der deutschen Akademien der Wissenschaften anschließen werden, weniger Fleisch zu konsumieren. Es trägt die Züge einer bemerkenswerten Form von Realitätsverweigerung, dass die Akademien sich mit dieser Problematik nicht auseinandergesetzt haben.

Auf der Basis konventioneller Landwirtschaft spricht einiges dafür, dass die wachsende Weltbevölkerung mit ausreichender Nahrung versorgt werden könnte, ohne dass dazu der Bedarf an landwirtschaftlicher Nutzfläche steigen müsste. Abbildung 7 zeigt die Entwicklung der Produktivität in der US-amerikanischen Feldwirtschaft seit 1948. Der jährliche Produktionsanstieg lag in diesem Zeitraum im Durchschnitt über alle Feldfrüchte gemessen bei 1,65%. Trotzdem sank die zur Produktion notwendige Ackerfläche jährlich um 0,47%. Gemessen am oberen Intervall des Nachfrageanstiegs aus (Valin et al. (2013)), resultiert ein jährlicher Anstieg der Lebensmittelnachfrage von (1+0,577)^(1/30)-1 = 1,53%. Das würde also bedeuten, dass beim Einsatz konventioneller Landwirtschaft Spielraum bestünde, die Nahrungsmittelversorgung zu verbessern und gleichzeitig die landwirtschaftliche Nutzfläche zu reduzieren – selbst dann wenn es nicht zu einem weiteren Produktivitätsfortschritt in der Landwirtschaft kommt. Das Projekt der „High Ambition Coalition for Nature and People“ wäre also durchaus noch realisierbar.

Abbildung 7 – Produktivitätsfortschritt in der US-amerikanischen Feldwirtschaft 1948-2017Quelle: US-Department of Agriculture

Allerdings wurde dieser Produktivitätszuwachs der Ackerfläche mit einem jährlichen Anstieg des Düngemitteleinsatzes von 1,8% und einem jährlichen Anstieg des Einsatzes von Pestiziden und Herbiziden von 6% erzielt (US-Department of Agriculture (2020); eine Verdopplung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln seit 2010 ging mit einem verstärkten Übergang zum erosionsverhinderndem Zero-Tillage Farming einher, wodurch sich auch der starke Rückgang des Energieverbrauches in diesem Zeitraum erklärt). Es ist fraglich, ob diese Entwicklung so weiter gehen wird. Wahrscheinlicher dürfte es sein, dass die Möglichkeiten der Gentechnik in der Zukunft verstärkt genutzt werden, um den Bedarf an Düngemitteln und den Pestiziden zu senken. Eine Reduzierung des Düngebedarfes könnte z.B. durch den Einbau der entsprechenden Gene von Leguminosen (Hülsenfrüchte die über eine Symbiose mit Knöllchenbakterien atmosphärischen Stickstoff aufnehmen können) in Nutzpflanzen erfolgen; eine Reduzierung des Pestizidbedarfes wird bereits heute erfolgreich mit dem Anbau sogenannter Bt-Baumwolle praktiziert. Dieser wurde ein Gen zur Produktion des Toxins des Bacillus thuringiensis eingebaut, das verschiedene Fressfeinde der Baumwolle zielgenau tötet. Das Bacillus thuringiensis ist als Suspension auch in der ökologischen Landwirtschaft zulässig. Als Suspension äußerlich aufgetragen tötet es jedoch auch Insekten, die keine Fressfeinde der Nutzpflanze sind.

Schon heute kann durch den Anbau genetisch veränderter Pflanzen (vor allem beim Anbau von Sojabohnen, Mais und Baumwolle) der Ernteertrag um 22% gesteigert und der Pestizideinsatz um 37% reduziert werden, wie eine Metaanalyse von 147 Einzelstudien von Klümper et al. (2014) zeigt. Es ist damit zu rechnen, dass dies erst der Beginn einer Entwicklung ist, die in den kommenden Jahrzehnten zu erheblichen weiteren Fortschritten führen wird. Wie groß die Potenziale hier noch sind, zeigt eine gerade erschiene Forschungsarbeit von South et al.(2019), die den Photosyntheseprozess wichtiger Nutzpflanzen durch Verringerung der Notwendigkeit zur Lichtatmung soweit optimiert haben, dass ohne eine Erhöhung der Nährstoff- oder Wasserversorgung ein Anstieg der Biomassebildung um 40% möglich wird. Es gibt also gute Gründe, davon auszugehen, dass sich der Produktivitätsforschritt in der Landwirtschaft im Vergleich zur historischen Entwicklung noch erheblich beschleunigen wird.

Trotz dieses großen Potentials der Gentechnik und der vielversprechenden Perspektiven, die Genom-Editierung für die Pflanzenzucht bietet, findet sich das Wort „Gentechnik“ oder „CRISPR/Cas“ in der Stellungnahme der Akademien der Wissenschaften nicht. Lediglich in Zusammenhang mit der Berücksichtigung von Gefahren für die biologische Vielfalt, taucht der Begriff „genetisch modifizierte Organismen“ auf. Spätestens hier drängt sich der Eindruck auf, dass die Akademien sich eher von den Dogmen des Ökologismus als von den Prinzipien einer ideologiefreien Wissenschaft leiten lassen. Die Neigung des Ökologismus bei bestimmten Technologien die Risiken zu verabsolutieren und die bei der Technologiefolgenabschätzung übliche Chancen-Risiko Abwägung apodiktisch zu verweigern, wirkt von außen betrachtet irrational. Soziologisch gesehen, dürfte sie aber die gleiche Funktion wie Technologie- und Speiseverbote in Religionen haben. Sie fördern den inneren Zusammenhalt einer Gruppe, indem sie Rituale stiften, mit denen sich die Gruppe gegenüber einer moralisch scheinbar unterlegenen Außenwelt abgrenzen kann. Für Institutionen, die sich jedoch den Prinzipien der Wissenschaft verpflichtet fühlen, sollten derlei dogmatische Verhaltensweisen selbstverständlich inakzeptabel sein.

Aufforderung zur Verhaltensänderung und Wertewandel

Geht man, wie die Akademien, davon aus, dass es gesellschaftlicher Konsens ist, die biologische Vielfalt künftigen Generationen zu erhalten, stellt sich die Frage, mit welchen agrarpolitische Strategien dieses Ziel erreicht werden kann. Doch eine offene Diskussion der Vor- und Nachteile unterschiedlicher agrarpolitischer Strategien bieten die Akademien in ihrer Stellungnahme nicht. Die von den Akademien angestrebte weitere Extensivierung der landwirtschaftlichen Produktion würde den derzeitigen Flächenverbrauch in Deutschland dauerhaft auf hohem Niveau festschreiben. Die Strategie der Akademien zielt im Wesentlichen auf eine Umlenkung bisheriger Agrarsubventionen in die Förderung der ökologischen Landwirtschaft (DAW (2020), S. 50). Sie gründet sich auf die Hoffnung, dass dadurch die eingangs beschriebenen Bestandsrückgange und Verluste an Artenvielfalt umkehren lassen. Die genannten Forschungsarbeiten, die in Frage stellen, ob die ökologische Landwirtschaft überhaupt geeignet ist, Biodiversitätsverluste zu vermeiden (Mondelaers et al. (2009), Gabriel et al. (2013), Schneider et al. (2014)), werden bei dieser Strategiewahl systematisch ausgeblendet. Wohlbegründete Zweifel, ob diese Strategie überhaupt zielführend ist, werden also erst gar nicht diskutiert.

Diese Einseitigkeit ihrer Strategiewahl kombinieren die Akademien mit Forderungen zur „Verhaltensänderung“ und „Wertewandel“ an die Bürger. Den Bürgern wird also nicht nur die Wahl zwischen alternativen Strategien vorenthalten, sie werden zusätzlich noch aufgefordert, ihr politisches Wertesystem so anzupassen, wie es die Akademien für richtig halten. Dadurch soll sich insbesondere das Konsumverhalten ändern. Dazu „gehört mit höchster Priorität ein geringerer Fleischkonsum“ und eine „Veränderung des Kaufverhaltens in Richtung biodiversitätsfreundlich erzeugter Lebensmittel“, denn „nur auf diese Weise sind eine sinnvolle Landwirtschaft und der Ausbau und die Erweiterung biodiversitätsfreundlicher bewirtschafteter Flächen, angesichts deren geringerer Produktivität, möglich“ (DAW (2020), S. 57).

Gar nicht zur Diskussion gestellt wird dagegen die gesetzlich verordnete Mehrnachfrage nach Biokraftstoffen, die auf das 2006 erlassene Biokraftstoffquotengesetz zurückgeht, mit dem die EU-Biokraftstoffrichtlinie aus dem Jahr 2003 umgesetzt wurde. Initiiert wurde die EU-Biokraftstoffrichtlinie von dem damaligen energiepolitischen Sprecher der Fraktion der Europäischen Grünen Partei im Europaparlament, dem heutigen luxemburger Energieminister Claude Turmes. Mittlerweile wurde das Biokraftstoffquotengesetz in Deutschland durch die Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung revidiert. Demnach gelten Biokraftstoffe nur noch dann als nachhaltig hergestellt, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Lieferkette im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen mindestens 35 Prozent an Treibhausgasen einsparen. Auch die Beschaffenheit und Herkunft der Anbauflächen wird reguliert. Überwacht werden soll das Ganze von nationalen und internationalen Zertifizierungsstellen. Dadurch ist ein hochkomplexes Regulierungsgepflecht entstanden. Art und Umfang des Anbaus von Energiepflanzen in Deutschland haben sich dadurch so gut wie nicht verändert (s.a. BMU (2020)). Eine ganze Reihe von Studien und Dokumentationen deuten darauf hin, dass diese Gesetze in Europa aber auch weltweit zu einer erheblichen Ausdehnung landwirtschaftlicher Nutzflächen zulasten natürlicher Habitate – in Deutschland auch als „Vermaisung der Landschaft“ bezeichnet – geführt haben (3SAT (2008), Buttler (2010), Spektrum (2007)). Nach Einschätzung des Weltklimarates ist Habitatverlust, neben invasiven Spezies und Raubbau, einer der Hauptgründe für das derzeit beobachtbare Artensterben (IPCC, Chap. 18 (2014, S. 990)). Zwar erkennen die Akademien an, dass sich „Brachflächen […] positiv auf die Artenvielfalt z.B. bei Vögeln aus[wirken]“ und „Stilllegungsflächen […] positive ökologische Nebenwirkungen [haben]“, zur Erklärung des Rückgangs der Brachflächen (die grüne Linie in Abbildung 8 entspricht Abbildung 9 der Stellungnahme der Akademien (DAW (2020), S. 28)) ziehen sie jedoch vor allem die Preisentwicklung auf den Weltmärkten und die darauf folgende Aussetzung der Stilllegungsverpflichtung heran. Die Entwicklung der Anbaufläche „nachwachsender Rohstoffe“, die zu ca. 90% für „Energiepflanzen“ benötigt werden (die rote Linie in Abbildung 8), erwähnen sie nicht. Diese Anbaufläche hat mittlerweile einen Anteil von 15% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche Deutschlands erreicht. Auf rund 65% der Anbaufläche für Energiepflanzen wachsen vor allem Mais und Getreide für die Biogasproduktion; auf 34% wächst vor allem Raps und Getreide für die Produktion von Biodiesel und Bioethanol; knapp 1% dient der Produktion von Festbrennstoffen (BEMEL (2015), BMEL (2020)). Die Nutzung landwirtschaftlicher Produktionsflächen zur Energiegewinnung ist sowohl aus ökologischer als auch aus ökonomischer Sicht höchst fragwürdig.

Abbildung 8 – Brachen und Anbaufläche nachwachsender Rohstoffe in Deutschland: 2000 – 2019Quelle: DAW (2020, Abbildung 9), BEMEL (2015), BMEL (2020)

Aus ökologischer Sicht zeigen empirische Studien, dass gerade Feldlerchen, deren Bestandsverluste von den Akademien beklagt werden, unter Mais als auch unter Rapskulturen besonders leiden. So zeigt eine Studie von Kolecek et al. (2015), dass Feldlerchen in Rapsfeldern nicht brüten können, weil dort die Vegetationsdichte zu hoch ist. Maisfelder bieten dagegen eine gute Vegetationsdichte, die der natürlicher Steppen ähnelt. Allerdings finden Praus und Weidinger (2015), dass der Bruterfolg von Feldlerchen in Maisfeldern im statistischen Mittel trotzdem geringer ist als in anderen Getreidefeldern. Die Forscher vermuten, dass Nesträuber in Maisfeldern einen leichteren Zugang zu den Nestern finden. In einer Simulationsstudie zeigen Everaars et al. (2014) auf Basis eines ökologischen Modells, dass die Bestände an Feldlerchen, unter einer Ausweitung des Energiepflanzenanbaus besonders leiden. Gutzler et al. (2015) haben in einer Szenariostudie für das Land Brandenburg u.a. die Folgen einer stärkeren Subventionierung von Energiepflanzen untersucht und kommen zu dem Ergebnis, dass die Bestände an Feldlerchen dadurch noch weiter schrumpfen würden.

Fragwürdig ist aus ökologischer Sicht auch die Treibhausgasbilanz der meisten Energiepflanzen. Negativ in der Treibhausgasbilanz von Energiepflanzen schlagen sich sowohl indirekte Landnutzungseffekte, die resultieren, wenn für den Anbau von Energiepflanzen Wald gerodet wird, als auch Lachgasemissionen, die bei der Düngung von Energiepflanzen freigesetzt werden (Melillo et al. (2009)). Bei einer Auswertung des derzeitigen Forschungsstandes kommen Whitaker et al. (2018) in einer Übersichtsstudie zu dem Ergebnis, dass nur bei mehrjährigen Pflanzen, wie Miscanthus-Gräsern oder Weiden und Pappeln auf Kurzumtriebsplantagen, aufgrund des niedrigen Bedarfs an Dünger, Bodenbearbeitung und Bodenqualität ein Potential zur Netto-Verringerung von Treibhausgasemissionen besteht.

Aus ökonomischer Sicht sind Energiepflanzen vor allem aufgrund ihrer niedrigen technischen Energieeffizienz nicht wirtschaftlich. Pflanzen können im Idealfall rund 5%, unter realistischen Bedingungen rund 1% der einfallenden Lichtenergie bei der Photosynthese in chemische Energie umsetzen. Herkömmliche Silizium Solarzellen setzen dagegen bereits ca. 20% der einfallenden Lichtenergie in elektrische Energie um. Selbst bei einer Kopplung mit einer Elektrolyse-Anlage zur Herstellung von Wasserstoff oder einer Fischer-Tropsch-Synthese-Anlage zur Herstellung von Kraftstoffen für Verbrennungsmotoren, die einen Wirkungsgrad von gut 60% erzielen, wäre also die Energieeffizienz mit rund 12% noch höher. Weiter verschlechtert wird der ökonomische Ertrag von Energiepflanzen durch die Kosten, die aufgrund von Düngung und Bodenkultivierung entstehen. Das Thünen-Institut (ehem. Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft) kommt in einer umfangreichen Analyse verfügbarer Biokraftstoffe zu dem Ergebnis: „Die Wärmebereitstellung auf Basis von Holz, welches in Kurzumtriebsplantagen produziert wird, ist unter den hier unterstellten Annahmen wirtschaftlich. Alle anderen analysierten Formen der Bioenergie-Produktion sind – solange sie in Deutschland mit einheimischen Rohstoffen betrieben werden – ohne erhebliche staatliche Unterstützung nicht wirtschaftlich. Das heißt, nur aufgrund politischer Eingriffe wird unter den aktuellen Rahmenbedingungen in relevantem Maßstab in Deutschland Bioenergie auf Ackerflächen produziert“ (Thünen-Institut (2008, S. 111)). Interessanterweise kommt auch die Leopoldina in einer Studie aus dem Jahr 2013 zu dem Ergebnis „dass mit Ausnahme der Nutzung von biogenen Abfällen die Verwendung von Biomasse als Energiequelle in größerem Maßstab keine wirkliche Option für Länder wie Deutschland ist“ (Leopoldina (2013, S. 5)). In der Stellungnahme der Akademien finden diese Studien jedoch keine Erwähnung. Es wird lediglich an einer Stelle darauf hingewiesen, dass „sowohl die regionale als auch die globale Flächennutzung […] heute maßgeblich durch den Bedarf landwirtschaftlicher Rohstoffe als Bioenergie (vor allem Biokraftstoffe) und die steigende Fleischproduktion geprägt“ werden (DAW (2020), S. 38). Warum dann später im Abschnitt „Handlungsoptionen“ lediglich „mit höchster Priorität ein geringerer Fleischkonsum“ (DAW (2020), S. 57) angemahnt wird, nicht aber eine Abkehr vom Biokraftstoffquotengesetz, erschließt sich dem Leser nicht. Angesichts der beschriebenen Probleme, fällt es schwer, im Biokraftstoffquotengesetz etwas anderes zu sehen, als einen desaströsen Fehlschlag der europäischen Umwelt- und Agrarpolitik. Das einzige Ziel, das damit tatsächlich erreicht wird, besteht in der Schaffung einer zusätzlichen Einkommensgrundlage für landwirtschaftliche Betriebe. Dieses Ziel ließe sich aber zu weitaus geringeren ökologischen und ökonomischen Folgekosten durch ungebundene Einkommenstransfers an diese Betriebe erreichen. Für den Wähler hätte dies auch den Vorzug einer größeren Transparenz der Verwendung von Steuermitteln.

Die Alternative zur Extensivierung: Reduzierung des Flächenverbrauchs durch Intensivierung

Eine Alternative zur Strategie der Akademien besteht im Abbau aller direkten und indirekten Subventionen des Agrarsektors. Allein die direkten Subventionen des Agrarsektors machen im aktuellen EU-Haushalt mit 57,9 Mrd. Euro noch immer den größten Anteil der Gesamtausgaben aus (Bundesfinanzministerium (2020)). Hinzu kommen noch indirekte Subventionen, wie sie aus der Nachfragewirkung der EU-Biokraftstoffrichtlinie resultieren. In Deutschland werden derzeit rund 6,7 Mrd. Euro pro Jahr über die beiden Säulen der europäischen Agrarpolitik an die Land- und Forstwirtschaft verteilt. Ein Großteil der Subventionszahlungen erfolgt in Form von „Direktzahlungen„. Nach offizieller Lesart dienen solche Direktzahlungen der Entkopplung von Produktionsleistung und Subventionszahlung. Da die Direktzahlungen aber nicht ungebunden sind, sondern pro Hektar Produktionsfläche gezahlt werden, haben sie trotzdem eine starke produktionsfördernde Wirkung. Denn ohne diese Zahlungen ist eine Bewirtschaftung vieler Produktionsflächen nicht kostendeckend möglich. In einer Simulationsstudie kommen Brady et al. (2017) zu dem Ergebnis, dass bei einer Streichung der sogenannten „Direktzahlungen“ die Nutzung landwirtschaftlicher Produktionsflächen in der EU um 6.5 Prozent sinken würde. Eine Abschaffung der Subventionen wird einen Strukturwandel in der Landwirtschaft in Gang setzen. Dieser wird zum einen die Zusammenlegung ertragreicher Flächen mit entsprechenden Produktivitätssteigerungen führen. Das Leitbild einer „kleinbäuerlichen Landwirtschaft“ lässt sich also mit einer derartigen Intensivierungsstrategie nicht realisieren. Vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung dürfte der Versuch, eine „kleinbäuerliche Landwirtschaft“ zu erhalten, genauso kostspielig werden, wie etwa der Versuch, eine „kleinunternehmerische Stahlindustrie“ zu erhalten. Marginale Flächen, die unter den vorherrschenden natürlichen oder regulatorischen Rahmenbedingungen ohne Subventionen nicht mehr kostendeckend bewirtschaftet werden können, werden stillgelegt. Nach fünf Jahren werden solche Flächen zu Dauergrünland, das nicht mehr ohne Weiteres in Ackerfläche umgewandelt werden darf (EU-Verordnung (2014)). Die Bodenpreise für solche Flächen würden in der Folge sinken. Mit einem Teil der freiwerdenden Subventionsmittel könnte der Staat zusammenhängende Flächen erwerben und auf der Basis ökologischer Landschaftskonzepte renaturieren. Um typischen Spezies der Steppe Rückzugflächen zu bieten, könnte dazu auf Konzepte zurückgegriffen werden, die bereits bei der Pflegenutzung von Heidelandschaften praktiziert werden. Auch experimentelle Konzepte, wie sie etwa in holländischen Naturentwicklungsgebieten erprobt werden, könnten angewendet und weiterentwickelt werden.

Auf den landwirtschaftlichen Nutzflächen, deren Bewirtschaftung auch ohne Subventionierung der Betriebe rentabel ist, kann eine Intensivierung der Produktion nach Maßgabe der Potentiale des landwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts stattfinden. Selbstverständlich stünde auch einer Bewirtschaftung von Flächen auf Basis der Prinzipien der ökologischen Landwirtschaft nichts im Wege, solange es Käuferschichten gibt, die bereit sind, die dazu notwendigen kostendeckenden Preise zu zahlen. Der Anteil von Bioprodukten an den Lebensmitteleinkäufen der Haushalte insgesamt (197,9 Mrd. Euro) lag im Jahr 2018 bei rund 5% (BÖLW (2019, S.11)).

Langfristig ist sicherlich damit zu rechnen, dass Grundnahrungsstoffe wie Zucker, Stärke und Eiweiß auch ohne Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Nutzflächen hergestellt werden. Auf Laborebene liegen die Technologien zur künstlichen Herstellung von Kohlenhydraten schon seit langem vor. Auch die Herstellung von Eiweiß mit Hilfe von Mikroben auf Basis von elektrischer Energie und Kohlendioxid gelingt bereits im Labormaßstab (Science (2017)). Wie eine Studie von Dinger und Platt (2020) zeigt, hängt die Wettbewerbsfähigkeit solcher Prozesse zum einen von der Kostenentwicklung der Wasserstoffelektrolyse ab und zum anderen vom Grad der praktizierten Internalisierung externer Kosten der Landwirtschaft. Je stärker also ökologische Schadwirkungen der Landwirtschaft durch regulatorische Auflagen den Verursachern angelastet werden, desto eher wird ein solcher Übergang einsetzen. Die Bepreisung solcher Schadwirkungen ist aber letztlich immer eine politische Entscheidung. Ein technologieoffener Ansatz erscheint vor diesem Hintergrund am besten geeignet, die langfristigen Chancen des technologischen Fortschritts zur Verbesserung der Umweltqualität zu nutzen.

Durch den Abbau von Agrarsubventionen wird die landwirtschaftliche Produktion der EU sinken. Dies wird zu einer globalen Verlagerung der Agrarproduktion vor allem in solche Länder führen, die aufgrund ihrer klimatischen Voraussetzungen eine höhere landwirtschaftliche Produktivität besitzen. Der internationale Handel mit landwirtschaftlichen Gütern wird sich damit wieder stärker an den natürlichen komparativen Vorteilen orientieren. Dies wird auch helfen, Migrationsdruck aufgrund von Agrarsubventionen zu reduzieren. Allerdings wird es auch dazu führen, dass in diesen Ländern, Anreize zur Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche entstehen. Falls dies zur Rodung komplexer Ökosysteme, wie etwa Regenwald, führt, resultiert aus umweltpolitischer Sicht ein normativer Zielkonflikt. Die Renaturierung landwirtschaftlicher Nutzflächen in Europa würde zulasten ökologisch wertvoller Ökosysteme in außereuropäischen Ländern gehen.

Gemildert würde ein solcher Zielkonflikt, durch die Abschaffung indirekter Subventionen in Form der EU-Biokraftstoffrichtlinie. In vielen südlichen Ländern wird dies sicherlich zu einem Rückgang der Nachfrage nach Anbauflächen für Palmöl oder Sojabohnen führen (3SAT (2008), Buttler (2010), Spektrum (2007)). Eine weitere Möglichkeit zum Schutz komplexer Ökosysteme außerhalb Europas bestünde in der entsprechenden Verwendung eines Teils der freiwerdenden Subventionsmittel. So könnte damit z.B. ein Fond eingerichtet werden, aus dem Kompensationszahlungen für den Verzicht auf Abbau von Ressourcen an Biodiversitätsbrennpunkten finanziert werden. Eine solche Möglichkeit hätte z.B. im Rahmen der gescheiterten Yasuni-ITT-Initiative in Ecuador bestanden (Spektrum (2019)). Zu überlegen wäre auch, ob durch die Schaffung geeigneter institutioneller Rahmenbedingungen, private Investitionen in den Kauf komplexer Ökosysteme gefördert werden können. Komplexe Ökosysteme, wie Regenwälder, sind eigentlich sehr knappe Ressourcen. Während sich Edelmetalle oder Edelsteine nicht nur in der Erdkruste sondern auch auf extraterrestrischen Himmelskörpern finden, gilt dies für komplexe Ökosysteme nicht. Sie sind in diesem Sinne also knapper. Außerdem enthalten komplexe Ökosysteme komplexe Informationen. Auch aus diesem Grund sind sie wertvoller als Edelmetalle. In Europa haben Finanzinvestoren seit der Finanzmarktkrise aus Gründen der Portfoliodiversifikation und eines gesteigerten Umweltinteresses verstärkt in Waldflächen investiert (FAZ (2021)). Man kann deshalb davon ausgehen, dass ein solches Interesse auch für komplexe Ökosysteme in außereuropäischen Ländern besteht. Dazu müssten aber Rahmenverträge mit solchen Ländern abgeschlossen werden, die die effektive Durchsetzung von Eigentumsrechten gewähren, so dass eine illegale Degradation solcher Ökosysteme verhindert werden kann. Auf einem Markt für komplexe Ökosysteme, dürften aufgrund der wachsenden Knappheit solcher Systeme, recht schnell Wertsteigerungen resultieren, die weitere Investoren anlocken. Je höher der Marktpreis für komplexe Ökosysteme, desto geringer ist der Anreiz, sie zu zerstören.

Volkssouveränität statt platonische Gelehrtenherrschaft

Man kann also kaum bestreiten, dass es mehr als eine Strategie gibt, um das Handlungsziel eines langfristigen Erhalts der Artenvielfalt anzustreben. Die von den Akademien als alternativlos propagierte subventionsbasierte Extensivierungsstrategie wird den landwirtschaftlichen Flächenverbrauch dauerhaft auf hohem Niveau festschreiben, obwohl es wohlbegründete Zweifel gibt, ob diese Strategie überhaupt zielführend im Sinne des Artenschutzes sein kann. Dem stehen Alternativen wie die Intensivierungsstrategie gegenüber, die zum einen durch die sofortige Freisetzung landwirtschaftlicher Nutzflächen die Einrichtung von Rückzugsräumen für bedrohte Arten ermöglicht und zum anderen nach Maßgabe des technologischen Fortschritts und des politisch gewünschten Umweltschutzes langfristig weitere Flächen freisetzen wird.

Chancen und Risiken verschiedener Strategien müssen immer gegeneinander abgewogen werden; Art und Umfang des Artenschutzes müssen festgelegt werden. Das geht nicht, ohne normative Bewertungen zu treffen. Dies ist jedoch nicht Aufgabe der Wissenschaft. Die Wissenschaft hat kein allgemein anerkanntes Verfahren zum Treffen normativer Entscheidungen. Sie kann die in Frage kommenden Alternativen lediglich beschreiben und auf mögliche Zielkonflikte hinweisen. Die Entscheidung muss aber letztlich der Souverän treffen. Nach Artikel 20 GG ist der Souverän in Deutschland das Volk, das von den gewählten Parlamenten in der Gesetzgebung repräsentiert wird. Der Stellungnahme der Akademien fehlt ein klares Bekenntnis zu diesem Prinzip. Appelle an den Souverän zur Verhaltens- und Bewusstseinsänderung fallen den Akademien offensichtlich leichter als eine politische Selbstbescheidung: „Ein nachhaltiger Schutz der Biodiversität ist allerdings nur mit einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel zu erreichen, weshalb nicht nur die landwirtschaftlichen Betriebe, die Agrar- und Umweltpolitik und das Agrar- und Umweltrecht einbezogen werden sollten, sondern auch Bildung, Werte, Handel, Märkte, Konsum und Wissenschaft in den Blick genommen werden müssen“ (DAW (2020), S. 47-48). Man kann bezweifeln, ob die Akademien mit dieser Art von Selbstverständnis langfristig die gesellschaftliche Akzeptanz für wissenschaftliche Beratung erhöhen werden.

4 Kommentare zu „Alternativlosigkeit als Methode: Die Stellungnahme der Deutschen Akademien der Wissenschaften zur Agrarpolitik

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