Eine empirische Formel zur Beurteilung der Biodiversiätsleistungen von ökologischer und konventioneller Landwirtschaft

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In ihrer Stellungnahme zum Thema „Biodiversität und Management von Agrarlandschaften“ DAW (2020) kommen die deutschen Akademien der Wissenschaften zu dem Ergebnis, dass das Ziel „die biologische Vielfalt für künftige Generationen zu erhalten“ vor allem über eine Extensivierung der Landwirtschaft durch die Maxime „Ökologische Landwirtschaft ausbauen und stärken“ erreicht werden kann (DAW (2020), S. 50). Empirische Studien, die die Eignung der ökologischen Landwirtschaft in Frage stellen (Mondelaers et al. (2009), Gabriel et al. (2013)), werden nicht diskutiert, wie in an dieser Stelle ausführlicher erläutert.

Eine solche Einseitigkeit der agrarpolitischen Empfehlungen der Stellungnahme ist erstaunlich, denn auf Basis der empirischen Literatur, ist es alles andere als sicher, ob ein Übergang zur ökologischen Landwirtschaft per saldo zu einer höheren Biodiversität führen wird. Das Grundproblem der ökologischen Landwirtschaft, ist die Ertragslücke: Um die gleiche Menge landwirtschaftlicher Güter herzustellen, wird eine größere landwirtschaftliche Produktionsfläche benötigt. Der daraus resultierende Naturverbrauch wirkt sich negativ auf die Biodiversität aus. Dem steht die höhere Biodiversität auf ökologisch bewirtschafteten Feldern im Vergleich zu konventionell bewirtschafteten Feldern gegenüber. Es gibt also zwei empirische Effekte, die sich antagonistisch verhalten. Wie können die Biodiversitätsdienstleistungen von ökologischer und konventioneller Landwirtschaft vor diesem Hintergrund bewertet werden?

Man kann das Problem der beiden antagonistischen Effekte in einer Formel zusammenfassen, aus der sich dann eine empirisch überprüfbare Bedingung für die Vorteilhaftigkeit der ökologischen Landwirtschaft im Hinblick auf ihre Biodiversitätsleistungsfähigkeit ableiten lässt. Die Frage, auf die die Formel eine Antwort gibt lautet: „Mit welcher Art von Landwirtschaft lässt sich eine bestimmte Produktionsmenge mit einer gegebenen Landfläche, so produzieren, dass dabei insgesamt die höchste Biodiversität resultiert?„. Zur Beantwortung dieser Frage sind fünf empirische Kennziffern notwendig: Die Menge Ackerland in Quadratmenter zur Herstellung einer Tonne eines Agrarproduktes auf Basis der biologischen Landwirtschaft (Acker m²/Tonneöko) bzw. der konventionellen Landwirtschaft (Acker m²/Tonnekonv); die Biodiversität auf einem Quadratmeter Ackerfläche bei ökologischer Landwirtschaft (Biodiversität/Ackeröko) bzw. konventioneller Landwirtschaft (Biodiversität/Ackerkonv) sowie auf Brachland (Biodiversität/Natur m²). Übliche empirische Maße für Biodiversität sind Biomasse (Gewicht der Individuen einer Spezies je Quadratmeter), Abundance (Anzahl der Individuen einer oder mehrerer Spezies je Quadtratmeter), Spezies Density (Anzahl der Spezies je Quadratmeter). Die Maße charakterisieren unterschiedliche Aspekte von Biodiversität, weshalb in den meisten Studien mindestens zwei von ihnen erhoben werden. Die Gesamtbiodiversität bei ökologischer Landwirtschaft ist bei der Produktion von x Tonnen des Agrarproduktes (für x < Land m² / Acker m²/Tonneöko, ansonsten Ecklösung) auf einer gegebenen Gesamtlandfläche in Quadratmeter „Land m²“ dann größer als die bei konventioneller Landwirtschaft wenn folgende Ungleichung gilt:

Diese Ungleichung kann dann zu folgender Bedingung für eine höhere Biodiversität bei ökologischer Landwirtschaft umgeformt werden:

Die Gesamtlandfläche „Land m²“ sowie der Skalierungsfaktor x heben sich bei der Umformung auf. Das zeigt, dass die Bedingung skalierungsunabhängig ist. In verbaler Interpretation sagt die Bedingung, dass die Biodiversitätsleistung der ökologischen Landwirtschaft dann größer ist als die der konventionellen Landwirtschaft, wenn die relative Biodiversitätslücke der konventionellen Landwirtschaft größer ist als die relative Ertragslücke der ökologischen Landwirtschaft. Empirisch betrachtet sollten beide Seiten der Gleichung größer als 1 sein, da typischerweise Acker m²/Tonneöko, > Acker m²/Tonnekonv, und Biodiversität/Ackeröko > Biodiversität/Ackerkonv. Je höher Biodiversität/Natur m² desto stärker nähert sich aber die linke Seite der Ungleichung 1 an. Das bedeutet also, dass bei sehr hoher Biodiversität auf dem ungenutzten Brachland (wie sie Beispielsweise in Biodiversität-Brennpunkten vorherrscht), ökologische Landwirtschaft aufgrund ihres höheren Flächenbedarfes zu einer niedrigeren Gesamtbiodiversität führt.

In der Studie „Food production vs. biodiversity: comparing organic and conventional agriculture“ von Gabriel et al. (2013) finden sich alle für die Bewertung der Ungleichung notwendigen Kennziffern bis auf einen empirischen Schätzwert für Biodiversität/Natur m². Leider wird dieser Wert von Studien, die ökologische Landwirtschaft mit konventioneller Landwirtschaft vergleichen, normalerweise nicht erfasst. Er dürfte zudem stark vom Management der brachliegenden Flächen abhängen. Um typischen Spezies der Steppe, die normalerweise Agrarlandschaften bevölkern, Rückzugflächen zu bieten, könnte z.B. auf Konzepte zurückgegriffen werden, die bereits bei der Pflegenutzung von Heidelandschaften praktiziert werden. Auch experimentelle Konzepte, wie sie etwa in holländischen Naturentwicklungsgebieten erprobt werden, könnten angewendet und weiterentwickelt werden. Um einen empirischen Schätzwert für Biodiversität/Natur m² zu ermitteln, müssten in solchen Gebieten Erhebungen durchgeführt werden.

Man kann die Ungleichung jedoch nutzen, um die Grenze zu bestimmen bis zu der ökologische Landwirtschaft eine bessere Biodiversitätsleistung hat als konventionelle. Wie Tabelle 1 zeigt, ist dies für 7 der erfassten 8 Spezies (Pflanzen, Erdwürmer, Hummeln, Wildbienen, Schmetterlinge, Schwebfliegen, Bodeninsekten, Ackervögel) bereits bei einer um den Faktor 1,3 höheren Biodiversität auf Brachland (Biodiversität/Natur m²) der Fall.

Tabelle 1 – Vergleich der Biodiversitäts-Leistung von ökologischer und konventioneller LandwirtschaftQuelle: Gabriel et a. (2013), Tabelle 1, eigene Berechnungen

Ist die Biodiversität auf Brachland um den Faktor 1,8 höher ist die Biodiversität des konventionellen Landbaus auch für die Spezies Pflanzen höher als bei ökologischem Landbau, wie Tabelle 2 zeigt.

Tabelle 2 – Vergleich der Biodiversitäts-Leistung von ökologischer und konventioneller LandwirtschaftQuelle: Gabriel et a. (2013), Tabelle 1, eigene Berechnungen

Es dürfte aus empirischer Sicht wahrscheinlich sein, dass die Biodiversität auf Brachland, das aktiv unter ökologischen Gesichtspunkten gemanaged wird, um mehr als den Faktor 1,8 größer ist als bei biologischer Landwirtschaft, die im Vergleich zu Brachland ja doch einen sehr weit gehenden Eingriff in die Natur darstellt. Allerdings kann die konventionelle Landwirtschaft ihren Produktivitätsvorteil zugunsten einer höheren Biodiversität nur dann ausspielen, wenn die zum Erhalt der Produktionsmenge nicht benötigen Flächen auch stillgelegt werden. Dazu sind staatliche Eingriffe nötig, da der Marktmechanismus alle Flächen, auf denen kostendeckend gewirtschaftet werden kann, in der Produktion hält. Dies könnte z.B. durch eine Internalisierung der Biodiversitätskosten der Landwirtschaft über eine Besteuerung landwirtschaftlicher Nutzfläche geschehen. In der aktuellen Situation würde dies also einem Abbau von Agrarsubventionen erfordern. In einer Simulationsstudie kommen Brady et al. (2017) zu dem Ergebnis, dass bei einer Streichung der sogenannten „Direktzahlungen“ die Nutzung landwirtschaftlicher Produktionsflächen in der EU um 6.5 Prozent sinken würde. Ein Abbau der indirekten Subventionierung über die Nachfragewirkung der EU-Biokraftstoffrichtlinie würde eine weitere Reduzierung der Flächennachfrage bewirken. In Deutschland hat die Anbaufläche für „nachwachsende Rohstoffe“ mittlerweile einen Anteil von 15% an der landwirtschaftlichen Nutzfläche erreicht (BEMEL (2015), BMEL (2020)). Die Nutzung landwirtschaftlicher Produktionsflächen zur Energiegewinnung in Europa ist sowohl aus ökologischer (Melillo et al. (2009), Whitaker et al. (2018), Kolecek et al. (2015), Praus und Weidinger (2015), Everaars et al. (2014)) als auch aus ökonomischer ((Thünen-Institut, Leopoldina (2013)) Sicht höchst fragwürdig. Eine ausführlichere Darstellung findet sich in an dieser Stelle.

Es zeigt sich also, dass es durchaus Alternativen zu der von den deutschen Akademien der Wissenschaften DAW (2020) vorgeschlagenen agrarpolitischen Extensivierungsstrategie gibt. Die Wahl der Strategie, ebenso wie die Festlegung von Art und Umfang des Artenschutzes ist letzlich ohnehin Aufgabe des Gesetzgebers.

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