Aus empirischer Sicht ermöglicht konventionelle Landwirtschaft mehr Biodiversität als ökologische Landwirtschaft

Dieser Beitrag ist auch im Wirtschaftsdienst erschienen.

Der Anfang vom Ende der konventionellen Landwirtschaft scheint eingeleitet: Auch das EU-Parlament hat im November 2021 dem Kompromiss zu einer Agrarreform mit den 27 Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission zugestimmt. Damit wird ein weiterer Ausbau der ökologischen Landwirtschaft bis zum Jahr 2030 auf 25% der Agrarfläche beschlossen. Der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition legt für Deutschland auf dieses Ziel noch einmal einen Anteil von 5% drauf. In einem Spiegel-Gastbeitrag erklärten Robert Habeck und Winfried Kretschmann unlängst die von der konventionellen Landwirtschaft verursachten Schäden: „Ein weiterer Preis des Erfolgs sind die enormen ökologischen Probleme durch die zu intensive Landwirtschaft. Sie ist global wie national wegen der hohen Flächenintensität einer der Haupttreiber des Artensterbens.“ Richtig daran ist zweifelsfrei, dass auf „ökologisch“ bewirtschafteten Flächen normalerweise eine etwas höhere Artenvielfalt vorherrscht als auf „konventionell“ bewirtschafteten Flächen. Verdrängt wird dabei allerdings, dass der Flächenverbrauch je Produktionsmenge in der ökologischen Landwirtschaft erheblich höher ist als bei konventioneller Bewirtschaftung. Habitatvernichtung ist nach Einschätzung des Weltklimarates, neben invasiven Spezies und Raubbau, aber einer der Hauptgründe für das derzeit beobachtbare Artensterben (IPCC, Chap. 18 (2014, S. 990)).

Eine Formel zur Bewertung des Nettobiodiversitätseffektes

Um den Nettoeffekt eines Landbautyps auf die Biodiversität korrekt bestimmen zu können, müssen beide Effekte, die unterschiedliche Biodiversität auf den bewirtschafteten Flächen und der unterschiedliche Flächenverbrauch je Produktionsmenge, miteinander verrechnet werden. Dazu kann man die Biodiversität unter den verschiedenen Flächennutzungsformen in die hier interessierenden Einflussfaktoren aufspalten:

Dabei entspricht die Summe aus Naturfläche[ha] und Nutzfläche[ha] der Gesamtfläche eines Landes in Hektar, die als natürlicher Lebensraum oder landwirtschaftliche Nutzfläche zur Verfügung steht. Der Indikator BiodivNatur[1/ha] misst die Biodiversität je Flächeneinheit auf der Naturfläche und der Indikator BiodivLb[1/ha] misst die Biodiversität je Flächeneinheit auf der mit Landbausystem LB bewirtschafteten Nutzfläche. Da die Naturfläche der Gesamtfläche minus der Nutzfläche entspricht, kann man mit Hilfe der gewünschten landwirtschaftlichen Produktionsmenge „Produktion[t]“ und der Flächenproduktivität des jeweiligen Landbausystems „ProduktivitätLB[t/ha]“ der Ausdruck wie folgt umschreiben:

Dabei entspricht der Quotient „Produktion[t] / ProduktivitätLB[t/ha]“ der landwirtschaftlichen Nutzfläche, die bei der gewünschten Produktionsmenge und der gegebenen Flächenproduktivität des verwendeten Landbausystems zur Produktion erforderlich ist. Vergleicht man nun zwei unterschiedliche Landbausysteme, wie ökologischen und konventionellen Landbau, „ÖL“ bzw. „KL“, miteinander, so ermöglicht der ökologische Landbau per saldo eine höhere Biodiversität als der konventionelle Landbau, wenn folgende Ungleichung gilt:

Wie man sieht, ist es möglich diese Ungleichung so zu vereinfachen, dass die Einflussfaktoren Gesamtfläche[ha] und Produktion[t] entfallen. Die Frage, welches Landbausystem eine höhere Biodiversität ermöglicht, ist also unabhängig von der Größe der verfügbaren Gesamtfläche und der gewünschten Produktionsmenge. Es resultiert dann folgende Ungleichung:

Diese Ungleichung hat eine intuitive Interpretation: Eine höhere Biodiversität der ökologischen Landwirtschaft ist dann gegeben, wenn die relative Biodiversitätslücke des konventionellen Landbaus (oder der relative Biodiversitätsvorteil des ökologischen Landbaus) größer ist als die relative Produktivitätslücke des ökologischen Landbaus (oder der relative Produktivitätsvorteil der konventionellen Landwirtschaft). Empirisch betrachtet sollten beide Seiten der Gleichung größer als 1 sein, da typischerweise die Biodiversität im konventionellem Landbau kleiner ist als im ökologischem (BiodivKL[1/ha] < BiodivÖL[1/ha]) und die Produktivität des konventionellen Landbaus größer ist als die des ökologischen Landbaus (ProduktivitätKL[t/ha] > ProduktivitätÖL[t/ha]). Die Ungleichung hat zwei interessante Implikationen:

  1. Wenn der Biodiversitätsindikator je Hektar Naturfläche, BiodivNatur[1/ha], sehr groß ist, weil es sich beispielsweise bei der Naturfläche z.B. um einen Biodiversitätshotspot handelt, konvergiert die linke Seite der Ungleichung von oben gegen den Wert 1. Wenn die Flächenproduktivität des konventionellen Landbaus größer ist als die des ökologischen Landbaus, führt in diesem Fall die ökologische Landwirtschaft aufgrund ihres höheren Flächenbedarfes zu einer niedrigeren Gesamtbiodiversität.
  2. Aufgrund seiner prinzipiellen Technologieoffenheit sind die Produktivitätswachstumspotentiale im konventionellen Landbau in langfristiger Perspektive größer als im ökologischen Landbau. Fortschritte in der grünen Gentechnik führen dazu, dass die Flächenproduktivität des konventionellen Landbaus langfristig weiter ansteigt und die Produktivitätslücke des ökologischen Landbaus dadurch immer größer wird. Zusätzlich kann es aufgrund von technologischem Fortschritt auch zu einem Rückgang der Biodiversitätslücke des konventionellen Landbaus kommen, wenn z.B. grüne Gentechnik eine Reduzierung des Einsatzes von Herbiziden und Pestiziden erlaubt. Technologischer Fortschritt arbeitet also zugunsten eines Biodiversitätsvorteils der konventionellen Landwirtschaft.

Empirische Indikatoren der Produktivitätslücke des ökologischen Landbaus

In der empirischen Literatur finden sich aktuelle Werte für die in der Ungleichung verwendeten Indikatoren. Die Daten zur Produktivitätslücke des ökologischen Landbaus in folgender Tabelle stammen aus drei Metaanalysen, die jeweils zwischen 66 und 115 Einzelstudien statistisch ausgewertet haben (Seufertet al. (2012), de Ponti et al. (2012), Ponisio et al. (2015), Meemken und Quaim (2018)).

Die durchschnittliche Produktivitätslücke des ökologischen Landbaus liegt demnach zwischen 123% und 133%. Da der größte Teil der ausgewerteten Einzelstudien aus Experimenten stammt (Ponisio et al. (2015) geben an, dass rund zwei Drittel der Daten ihrer Studie von experimentellen Farmen und ein Drittel von kommerziellen Farmen stammen), können die Ergebnisse aber nicht ohne weiteres auf die reale Landwirtschaft übertragen werden. Mehrere Gründe sprechen dafür, dass die Erträge des experimentellen ökologischen Landbaus stärker nach oben verzerrt sind als die des experimentellen konventionellen Landbaus:

  1. Aus ökonomischer Sicht dürften die meisten realen Landwirtschaftsbetriebe kommerziell betrieben werden. Sie werden deshalb dazu tendieren, den Gewinn zu maximieren und nicht die Produktionsmenge. Bei vielen Experimenten geht es jedoch vor allem darum, die maximale Produktionsmenge, die ein Landbausystem produzieren kann, zu bestimmen. Ökologischer Landbau bietet generell mehr Möglichkeiten für arbeitsintensive Eingriffe als konventioneller Landbau. Es kann deshalb sein, dass der experimentelle ökologische Landbau, sehr viel arbeitsintensiver betrieben wird, als dies in einem realen ökologischen Landwirtschaftsbetrieb rentabel wäre.
  2. Es spricht einiges dafür, dass ökologischer Landbau auch wissensintensiver ist als konventioneller Landbau (Seufert et al. (2012), Taheri et al. (2017)). Das kann dazu führen, dass die die Produktivität auf den von Agrarwissenschaftlern im Vergleich zu den von Landwirten ökologisch bewirtschafteten Flächen größer ist die Produktivität auf den von Agrarwissenschaftlern im Vergleich zu den von Landwirten konventionell bewirtschafteten Flächen.

Ein vom Thünen Institut, Braunschweig, seit 2012 geführtes Panel zur „Analyse der wirtschaftlichen Lage ökologisch wirtschaftender Betriebe“ enthält, neben einer ganzen Reihe ökonomischer Strukturdaten, auch Daten zur Flächenproduktivität ökologisch wirtschaftender Betriebe und strukturell vergleichbarer konventioneller Betriebe. Wie die folgende Tabelle zeigt, ist die Produktivitätslücke des ökologischen Landbaus beim Vergleich realen Landwirtschaftsbetriebe mit durchschnittlich 222% deutlich größer als bei einem Vergleich auf Basis experimenteller Daten. Dieses Ergebnis liegt in der gleichen Größenordnung, wie das von Gabriel et al. (2013), Tabelle 1, die Erträge vergleichbarer, realer Landwirtschaftsbetriebe in der Produktion von Weizen, Hafer und Gerste in Großbritannien erfasst haben und auf eine durchschnittliche Produktivitätslücke des ökologischen Landbaus von 216% kommen. Eine Studie von Nowak et al. (2013) zeigt, dass aber auch diese Daten zugunsten der Produktivität des ökologischen Landbaus verzerrt sein können, da es in der realen Landwirtschaft zu einem erheblichen Nährstoffeintrag von konventionellen auf ökologisch bewirtschaftete Flächen kommt. Bei einer vollständigen Umstellung auf ökologischen Landbau, wäre die Produktivitätslücke also wahrscheinlich noch größer. Zu berücksichtigen ist außerdem, das es sich bei den landwirtschaftlichen Betrieben des Thünen-Panels ausschließlich um deutsche Betriebe handelt. Deutschland macht derzeit von der sogenannten „Ausstiegsklausel“ der europäischen Gentechnikgesetze Gebrauch und untersagt den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Schon heute kann aber durch den Anbau genetisch veränderter Pflanzen der Ernteertrag um bis zu 22% gesteigert und der Pestizideinsatz um ca. 37% reduziert werden, wie eine Metaanalyse von 147 Einzelstudien von Klümper et al. (2014) zeigt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Produktivitätslücke des ökologischen Landbaus im Verhältnis zum konventionellen Landbau ohne Gentechnikverbot noch deutlich größer ausfällt.

Empirische Indikatoren der Biodiversitätslücke des konventionellen Landbaus

Die zur Berechnung der Biodiversitätslücke notwendigen Indikatoren können aus den in einer Reihe von Studien bestimmten „Mean Species Abundance“ (MSA) oder „Potentially Disappeared Fraction“ (PDF) Indikatoren abgeleitet werden. Die MSA eines bestimmten Landbausystems LB berechnet sich als MSA_LB = BiodivLB[1/ha] / BiodivNatur[1/ha]. Sie entspricht also dem prozentualen Verhältnis der durchschnittlichen Biodiversität eines bestimmten Landbausystems zu der durchschnittlichen Biodiversität auf einer Naturfläche. Die durchschnittliche Biodiversität wird dabei gemessen als durchschnittlicher Anteil der bei einer bestimmten Nutzungsart vorgefundenen Spezies an der Anzahl dieser Spezies auf einer Naturfläche. Berücksichtigt werden dabei nur die Spezies, die auf der Naturfläche vorkommen (Schipper et al. (2018)). Zur Verhinderung unnatürlicher Kompensationseffekte werden Anteile größer 1 nur mit einem Wert von 1 berücksichtigt. Subtrahiert man die MSA vom Wert 1, resultiert ein Maß für die PDF eines bestimmten Landbausystems: PDF_LB = 1 – MSA_LB = ( BiodivNatur[1/ha] – BiodivLB[1/ha] ) / BiodivNatur[1/ha]. Die PDF gibt also an, um wieviel Prozent im Durchschnitt die Biodiversität eines bestimmten Landbausystems im Verhältnis zur Biodiversität auf einer Naturfläche sinkt. Bildet man den Quotienten PDF_KL / PDF_ÖL, resultiert ein Maß für die relative Biodiversitätslücke des konventionellen Landbaus im Verhältnis zum ökologischen Landbau, die linke Seite der obigen Ungleichung. Die folgende Tabelle gibt die Werte der so geschätzten Biodiversitätslücke aus unterschiedlichen empirischen Studien an.

Wie man anhand der PDF-Werte erkennen kann, ist der Biodiversitätsverlust bei konventionellem Landbau zwar immer größer als bei ökologischem Landbau. Allerdings ist der Rückgang der Biodiversität bei ökologischem Landbau mit PDF-Werten zwischen 63% und 85% ebenfalls erheblich. Die resultierende relative Biodiversitätslücke des konventionellen Landbaus in Relation zum ökologischen Landbau liegt deshalb nur zwischen 105% und 140%. Der Mittelwert entspricht 118% und ist damit sehr viel niedriger als die mittlere Produktivitätslücke des ökologischen Landbaus auf Basis der Daten des Thünen-Panels von 222%.

Die empirischen Schätzwerte der Biodiversitätsindikatoren in obiger Tabelle basieren auf unterschiedlichen methodischen Ansätzen, die im Folgenden kurz erläutert werden. Alkemade et al. (2009) berechnen den Einfluss der Landnutzungsintensität auf die MSA mit Hilfe eines faktorisierten Modells (GLOBIO3). Die Werte für die Kausalbeziehung der Landnutzungsintensität auf die MSA ermitteln sie über eine Metaanalyse über 89 Datensätze von empirischen Studien aus referierten Fachzeitschriften. Nach Angaben von Alkemade et al. (2009) beziehen sich viele der Datensätze auf tropische Waldbiotope als Referenzpunkt für Naturfläche; die Werte stimmen aber mit den verfügbaren Datensätzen für andere Waldbiotope weitgehend überein. Die in obiger Tabelle ausgewiesenen PDF-Werte wurden auf der Basis der in Tabelle 4 von Alkemade et al. (2009) ausgewiesenen MSA Werte für „Low-input Agriculture“ (= traditionelle und Subsistenzlandwirtschaft, extensive Landwirtschaft und Niedriginput Landwirtschaft) und „Intensive Agriculture“ (= Hochinput Landwirtschaft, konventionelle Landwirtschaft mit regionalem Spezialisierungsmuster, be- und entwässerungsbasierte Landwirtschaft) berechnet. Dabei wurde der ökologische Landbau durch „Low-input agriculture“ und der konventionelle Landbau mit „Intensive agriculture“ approximiert.

Goedkoop et al. (2009) berechnen PDF-Werte auf der Basis des „Species Richness Factor“ Indikators des Countryside Survey (2000), einer empirischen Landschaftsdatenerhebung für Großbritannien. Als Referenzpunkt für Naturfläche verwenden die Autoren das für Europa typische Waldbiom. Die in obiger Tabelle verwendeten PDF-Werte entsprechen den in Tabelle 10.7 von Goedkoop et al. (2009) ausgewiesenen „Local Effect“ PDF-Werten für „Intensive Crops/Weeds“ als Proxy für den konventionellen Landbau und „Extensive Crops/Weeds“ als Proxy für den ökologischen Landbau.

Lillywhite (2012) berechnen einen „Habitat Ecosystem Quality“ Indikator definiert als MSA im Vergleich zu einer „ungestörten Situation“ basierend auf den Daten der UK Farm Business Survey und den Umweltindikatoren des Cranfield University LCA Models nach Williams et al. (2006). Die in obiger Tabelle angegebenen PDF-Werte entsprechen den in Tabelle 1 von Lillywhite (2012) ausgewiesenen MSA-Werten für „General cropping (conventional)“ als Proxy für den konventionellen Landbau und „General cropping (organic)“ als Proxy für den ökologischen Landbau.

Reidsma et al. (2006) verwenden zur Bewertung der Biodiversität der Agrarlandschaften der EU Mitgliedsländer MSA basierte Indikatoren, die sie als „Ecosystem Quality“ bezeichnen, ebenfalls im Vergleich zu einer „ungestörten Situation“. Die in obiger Tabelle angegebenen PDF-Werte beruhen auf den in Tabelle 2 von Reidsma et al. (2006) ausgewiesenen MSA-Werten für „Non-organic Cropping Systems“ als Proxy für den konventionellen Landbau und für „Organic Cropping Systems“ als Proxy für den ökologischen Landbau. Dabei definieren sie die obere Grenze für „extensiven Landbau“ mit 80 Euro/ha Inputausgaben und die untere Grenze für „hoch intensiven Landbau“ mit 250 Euro/ha Inputausgaben. Dazwischen liegt der „intensive Landbau“.

Während die MSA-Werte der Studien von Alkemade et al. und Goedkoop et al.(2009) ein Waldbiom als Referenzpunkt für die Biodiversität der Naturfläche haben, BiodivNatur[1/ha], ist der Referenzpunkt der Studien von Lillywhite (2012) und Reidsma et al. (2006) eine vom Menschen „ungestörte Situation“. In den meisten europäischen Ländern und insbesondere in Deutschland, ist davon auszugehen, dass sich dann auf natürliche Weise ebenfalls ein Waldbiom entwickelt. Da die Biodiversität in einem naturbelassenem Waldbiom in Europa in der Regel geringer ist als in einer offenen Heidelandschaft (Brown and Hyman (1986)), kann der Referenzpunkt Waldbiom, das Ergebnis der Bewertung der obigen Ungleichung zulasten des konventionellen Landbaus beeinflussen: Die Biodiversitätslücke des konventionellen Landbaus steigt mit sinkender Biodiversität des Referenzpunktes wie oben bereits erläutert. Welche Art von Biom an die Stelle ungenutzter Agrarfläche treten soll, ist letztlich eine normative Frage, die politisch beantwortet werden muss. Aus ökologischer Sicht kann man zwar argumentieren, dass bei der Nutzung des konventionellen Landbaus eine durch ökologisches Pflegemanagement offen gehaltene Heidelandschaft besser geeignet ist, den von der Landwirtschaft verdrängten Spezies, insbesondere Arthropoden, Rückzugsräume zu bieten. Aus naturhistorischer oder ästhetischer Sicht kann man aber natürlich trotzdem eine Renaturierung der freigesetzten Agrarflächen in Form natürlicher Waldbiome bevorzugen. Vor weiteren Entscheidungen zur Extensivierung der Landwirtschaft in der EU wäre eine systematische EU-weite Erhebung der MSA-Werte der verschiedenen Extensivierungsschritte und möglicher Referenzbiome sicherlich von Nutzen.

Die Biodiversitätskosten einer vollständigen Umstellung auf ökologischen Landbau

Man kann das quantitative Ausmaß dieses Ergebnisses auch durch eine hypothetische Simulationsrechnung verdeutlichen, bei der die Folgen einer vollständigen Umstellung der europäischen Landwirtschaft auf den ökologischen Landbau mit den Folgen einer ertragsäquivalenten Reduzierung des konventionellen Landbaus verglichen werden. Dabei sei zur Vereinfachung eine Produktivitätslücke des ökologischen Landbaus von lediglich 200% unterstellt. Bei einer Umstellung auf ökologischen Landbau der derzeit für konventionellen Landbau genutzten Fläche würde dann die landwirtschaftliche Produktionsmenge um durchschnittlich 50% sinken. Die Gesamtbiodiversität würde um 108% steigen, da BiodivÖL[1/ha] / BiodivKL[1/ha] -1 = MSA_ÖL / MSA_KL -1 = (1-PDF_ÖL) / (1-PDF_KL) -1 = (1-0,75)/(1-0,88) -1 = 108%. Würde man stattdessen einen Produktionsrückgang von 50% auf der Basis des konventionellen Landbaus in Kauf nehmen, könnte die landwirtschaftliche Nutzfläche um 50% reduziert werden. Würde die dabei freigesetzte Fläche renaturiert, würde dabei ein Anstieg der Gesamtbiodiversität in Höhe von 317% resultieren: 50% * (BiodivNatur[1/ha] / BiodivKL[1/ha] – 1) = 50% * ((1 / MSA_KL) -1) = 50% *((1 / (1-PDF_KL)) -1) = 50% * ((1 / (1-0,88)) -1) = 367%. Man zeigen, dass diese Bedingung immer dann erfüllt sein muss, wenn auch die oben hergeleitete Ungleichung erfüllt ist. Eine formale Herleitung des Zusammenhangs findet sich hier. Die folgende Tabelle zeigt die Rechenschritte im Überblick.

Die Rechnung ist beliebig skalierbar, wie das zweite Rechenbeispiel der Tabelle zeigt. Bei einer Umstellung von lediglich 30% der Produktionsfläche auf ökologischen Landbau, wie von der Ampelkoalition angestrebt, würde der Ertrag um 15% sinken und die Biodiversität um 33% steigen. Bei einer 15% Senkung des Ertrages bei konventionellem Landbau könnte 15% der Produktionsfläche renaturiert werden. Dadurch würde die Biodiversität um 110% steigen. Mit anderen Worten, eine 15% Ertragsreduzierung bei konventionellem Landbau hätte sogar noch einen etwas größeren Anstieg der Gesamtbiodiversität zur Folge (110%) als eine vollständige Umstellung auf ökologischen Landbau (108%).

Man kann also durch eine ertragsgleiche Reduzierung des konventionellen Landbaus einen deutlich größeren Anstieg der Biodiversität erzielen als durch einen entsprechenden Übergang zur biologischen Landwirtschaft. Im Grunde beruht dieser Effekt auf dem ökonomischen Prinzip der Arbeitsteilung: Während der ökologische Landbau versucht, auf den gleichen Flächen sowohl landwirtschaftliche Güter als auch Biodiversität zu produzieren, findet bei einer auf konventionellem Landbau beruhenden Intensivierungsstrategie eine Spezialisierung statt: Dabei wird auf einem Teil der Flächen die Produktion landwirtschaftlicher Güter betrieben und auf dem anderen Teil der Flächen die „Produktion“ von Biodiversität.

Nicht berücksichtigt wird bei dieser rein quantitativen Bewertung ein qualitativer Effekt: Durch die von einer Halbierung der Produktion des konventionellen Landbaus freigesetzten Flächen entsteht die Möglichkeit, einen sich selbst überlassenen Naturraum zu schaffen, in dem sich die verschiedenen Spezies ungestört entwickeln können. Die Biodiversität auf Nutzflächen des ökologischen Landbaus unterliegt im Vergleich dazu sehr viel stärkeren, landwirtschaftlich bedingten Beschränkungen.

Diese Simulationsrechnung lässt allerdings die Auswirkung einer Halbierung der europäischen Produktion auf die globale Biodiversität außer Acht. Ein Rückgang der europäischen Agrarproduktion um 50% würde zu einem Preisanstieg vieler landwirtschaftlicher Produkte führen, der Anreize zu einer Ausweitung landwirtschaftlicher Nutzflächen in anderen Ländern setzen würde. Wenn dazu komplexe Ökosysteme, wie z.B. Regenwald, gerodet werden, kann es zu einem erheblichen Verlust von Biodiversität in diesen Ländern kommen. Wenn dieser größer ist als der Biodiversitätsgewinn in Europa, kommt es zu einem globalen Nettoverlust an Biodiversität. Wie die Simulationsrechnung zeigt, ist die Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario bei ökologischem Landbau deutlich größer als bei einer ertragsgleichen Reduzierung des konventionellen Landbaus.

Die Agrarreform aus politökonomischer Perspektive

Auch wenn die Biodiversitätswirkung einer Umstellung auf ökologischen Landbau auf Basis der empirischen Datenlage eindeutig ausfällt, spricht aus politökonomischer Perspektive einiges dafür, dass sich eine Agrarreform auf Grundlage des ökologischen Landbaus eher durchsetzen kann. Eine Umstellung auf ökologischen Landbau kann über eine Subventionsförderung entsprechender Anbaupraktiken gelenkt werden. Die Konzeption des ökologischen Landbaus liefert einen ideologischen Hintergrund für eine politische „Begründung“ solcher Subventionszahlungen. Bei einer Agrarreform auf Basis einer Produktionsreduzierung im konventionellen Landbau müssten dagegen Subventionszahlungen abgeschafft werden. In einer Simulationsstudie kommen Brady et al. (2017) zu dem Ergebnis, dass bei einer Streichung der sogenannten „Direktzahlungen“ die Nutzung landwirtschaftlicher Produktionsflächen in der EU um 6,5 Prozent sinken würde. Auch ökologisch ohnehin fragwürdige gesetzliche Regeln, welche die Nachfrage nach landwirtschaftlicher Nutzfläche künstlich erhöhen, wie etwa das „Biokraftstoffquotengesetz“ (ARD (2020), 3SAT (2008), T&E (2021), Buttler (2010), Spektrum (2007), Kolecek et al. (2015), Praus und Weidinger (2015), Everaars et al. (2014), Gutzler et al. (2015)) könnten überprüft werden. Wesentlich darüber hinaus gehende Flächenstilllegungen müssten über eine Besteuerung landwirtschaftlicher Produktionsflächen bewirkt werden. Es ist deshalb naheliegend, dass eine Agrarreform auf Basis des ökologischen Landbaus in sehr viel geringerem Maße auf Widerstand landwirtschaftlicher Interessenverbände stoßen wird, als eine Agrarreform auf Basis des konventionellen Landbaus. Das Ergebnis einer solchen Agrarreform dürfte aber nicht zwangsläufig auch den Interessen eines an hoher Biodiversität und effizientem Einsatz knapper Steuermittel interessierten Bürgers entsprechen.

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