Dieser Beitrag ist auch auf Ökonomenstimme.org erschienen.
Der VW-Skandal zeigt: CSR kann kein effektives Instrument der Wirtschaftspolitik sein
Eigentlich ist es doch offensichtlich: Wenn noch nicht einmal ein Unternehmen wie die Volkswagen AG mit einem renommierten Markennamen und daraus resultierendem hohem Reputationsrisiko einen ausreichenden Anreiz hat, strafbewerte Gesetze einzuhalten, dann kann man doch nicht ernsthaft erwarten, dass Unternehmen generell einen ausreichenden Anreiz haben, auch noch über die gesetzlichen Verpflichtungen hinaus zu gehen und echte CSR zu praktizieren. Die von Thomas Beschorner und Thomas Hajduk in ihrem Beitrag „Unternehmensverantwortung und Politik“ neben freiem Markt und staatlicher Regulierung begrüsste CSR als drittem ‚möglichen Koordinationsmechanismus zur Lösung gesellschaftlicher Probleme‘ funktioniert also in der Praxis nicht.
Da es sinnlos wäre, Wirtschaftspolitik auf ein Fundament zu stellen, das nicht existiert, scheidet CSR als ernstzunehmendes Instrument der Wirtschaftspolitik aus. Sie ist etwas für Werbebroschüren von Unternehmen und Sonntagsreden um Profil bemühter Politiker. So wie manche Unternehmen von ihrer Kundschaft über den Weg der psychologischen Produktdifferenzierung einen höheren monopolistischen Preisaufschlag bezahlt bekommen, wenn sie in einen Formel 1 Rennstall investieren, so gelingt dies anderen Unternehmen, indem sie in ein Entwicklungshilfe- oder Aufforstungsprojekt investieren. Aber ein Ersatz für staatliche Umwelt- und Sozialpolitik kann diese Art von strategischer, dem Marketing geschuldeter CSR nicht sein.
Interessanterweise ziehen Thomas Beschorner und Martin Kolmar in ihrem Beitrag „Schwierigkeiten mit der Moral: Ein Kommentar aus gegebenem Anlass“ aber genau diese Schlussfolgerung nicht. Statt das Leitbild der freiwilligen Übernahme sozial- und umweltpolitischer Verantwortung durch private Unternehmen aufzugeben, plädieren sie dafür, „dass jeder von uns, in jeder Handlung, die Frage der Verantwortung stärker in den Vordergrund stellen muss“. Ein Satz wie dieser mag ein gutes Schlusswort für eine Sonntagspredigt sein. Es stellt sich nur die Frage, welchen Beitrag ein solches ‚Leitbild der individuellen Verantwortung zur Lösung gesellschaftlicher Probleme‘ tatsächlich leisten kann, wenn man gerade am Beispiel der Volkswagen AG spektakulär beobachten konnte, dass es in der Praxis nicht funktioniert. Man fühlt sich ein wenig an Karl Poppers Kritik der Psychoanalyse erinnert: Wann immer auch das ‚Leitbild der individuellen Verantwortung zur Lösung gesellschaftlicher Probleme‘ scheitert, dann beweist dies nur, dass die Menschen und Unternehmen sich immer noch nicht intensiv genug diesem Leitbild verpflichtet fühlen. Also muss man das Leitbild noch stärker propagieren. Die dem Leitbild zu Grunde liegende Verhaltenstheorie ist offensichtlich so konstruiert, dass sie an keiner empirischen Erfahrung jemals scheitern kann. Sie würde demnach also nicht das Popper’sche „Abgrenzungskriterium“ für eine empirische Theorie im Unterschied zu einem metaphysischen Aussagesystem erfüllen.
Bezeichnend für den sehr speziellen methodologischen Status des von Beschorner und Hajduk vertretenen CSR Leitbildes ist auch, dass in ihrem Beitrag jegliche Auseinandersetzung mit empirischen Theorien und Beobachtungen fehlt, die die Praktikabilität von echter CSR unter marktwirtschaftlichen Bedingungen grundsätzlich in Frage stellen. Wie hier schon einmal erläutert, spricht einiges dafür, dass Unternehmen, die sich über Kapitalmärkte finanzieren müssen, keine echte CSR praktizieren können, weil sonst ihre Eigenkapitalrendite unter das marktübliche Niveau fallen würde und sie sich dem Risiko einer feindlichen Übernahme aussetzen würden. Die empirische Erfahrung mit feindlichen Übernahmen und „Activist Investment Funds“ zeigt, dass diese theoretischen Argumente offensichtlich nicht als unrealistisch abgetan werden können. Wenn es unter normalen marktwirtschaftlichen Bedingungen nicht möglich ist, echte CSR zu praktizieren, dann stellt sich natürlich die Frage, wie „verantwortlich“ es ist, trotzdem von Unternehmen echte CSR einzufordern?
Eine allgemeinverbindliche Ethik kann es ebenso wenig geben wie eine allgemeinverbindliche Religion
Folgt man den Ausführungen von Beschorner und Kolmar so existiert so etwas wie ein ‚moralischer Common Sense‘ bzw. eine ‚geltende Moral‘ – gegen die paradoxerweise aber immer wieder verstoßen wird. Die Hypothese ist für sich genommen also schon einigermaßen erstaunlich. Darüber hinaus zeigen doch aktuelle Diskussionen um Themen wie Sterbehilfe, Suizid, Stammzellenforschung oder Präimplantationsdiagnostik, wie sie vom Deutschen Ethikrat organisiert werden, ganz eindeutig, dass es zu moralischen Fragen in unser Gesellschaft sehr viele unterschiedliche Positionen gibt. In einer Stellungnahme des Ethikrates zum Thema „Ethikberatung“ heißt es dazu „In einer pluralistischen Gesellschaft gibt es keine allgemein akzeptierte moralische Instanz, sodass eine solche Orientierung nur im Diskurs zu gewinnen ist“.
Dass es zu diesen Fragen keine allgemein akzeptierte moralische Position gibt, sondern nur viele verschiedene Standpunkte der unterschiedlichen weltanschaulichen Gruppierungen, sodass am Ende der verschiedenen Diskurse häufig nur mühsam errungene Kompromisse, garniert mit Minderheiten- und Sondervoten stehen (Deutscher Ethikrat), ist kein Zufall. Dieser Zustand hat tiefe methodologische Ursachen, die aus dem „Begründungstrilemma der Ethik“ herrühren, das hier schon einmal diskutiert wurde. Merkwürdigerweise gibt es zu diesem wichtigen methodologischen Problem weder bei Beschorner und Hajduk noch bei Beschorner und Kolmar eine Stellungnahme.
Statt dieses Problem offen zu diskutieren und zu erläutern, wie es denn in einem die Menschenrechte respektierenden freiheitlich verfassten Rechtsstaat eine andere Lösung als die Akzeptanz des ethischen Pluralismus geben kann, fordern Beschorner und Kolmar „dass Tugenden wie Anstand, Ehrlichkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit“ keine „strategische Größe“ „derer man sich situativ bedienen kann oder auch nicht“ sein sollten, sondern „fester, verinnerlichter Bestandteil einer Persönlichkeit“. Eine solche Forderung mag zunächst ganz gut klingen, wird aber sehr schnell höchst problematisch, wenn man versucht die darin enthaltenen normativen Begriffe „Anstand“, „Ehrlichkeit“, „Mäßigung“ und „Gerechtigkeit“ zu definieren. Dann stellt man nämlich fest, dass es viele unterschiedliche Definitionsmöglichkeiten gibt und aus den genannten Gründen kein einfaches Wahrheitskriterium existiert, das zwischen der „richtigen“ und der „falschen“ Definition diskriminieren könnte. Welche Funktion kann dann eine solche Forderung haben?
Beschorner und Kolmar gehen noch weiter. Sie stellen die empirische Hypothese auf, dass eine Gesellschaft, die ihrer Forderung nicht nachkommt „auf Dauer nicht funktionieren“ kann, da eine „Gesellschaft, die jedes Problem durch institutionelle Regelungen lösen will“ sich „nach und nach in einen Kontrollstaat“ verwandelt und es „am Ende doch nicht“ schafft „die Herausforderungen in den Griff zu bekommen“. Man reibt sich verwundert die Augen: Eine Gesellschaft, die nicht eine ganz bestimmte Vorstellung von „Anstand, Ehrlichkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit“ ihren Mitglieder vorschreibt, sondern in ihrer freiheitlichen Verfasstheit eine pluralistische, individuelle Interpretation dieser Begriffe ausdrücklich erlaubt und toleriert, verwandelt sich in einen Kontrollstaat? Könnte es nicht auch genau umgekehrt sein?
Ein theoretischer Mechanismus, der mit Notwendigkeit dazu führt, dass freiheitlich verfasste Gesellschaften, die das Problem der fehlenden Allgemeinverbindlichkeit normativer Werturteile durch die Gewährung individueller Freiheit lösen, sich in einen „Kontrollstaat“ verwandeln, ist jedenfalls nicht ohne Weiteres erkennbar. Auch spricht die empirische Erfahrung, die seit dem Beginn der Neuzeit gemacht wurde, nicht dafür, dass ein solcher Mechanismus existieren würde, wie etwa die frühen Demokratien Schweiz oder USA zeigen. Im Gegenteil, man kann in der Geschichte der Neuzeit durchaus eine Tendenz zum Übergang zu freiheitlich verfassten Gesellschaftssystemen erkennen. Und es spricht aus empirischer Sicht einiges dafür, dass solche Gesellschaftssysteme, gerade weil sie möglichst weitgehende individuelle Freiheit gewähren, integrationsfähiger und damit stabiler sind als andere Gesellschaftssysteme. Die kulturpessimistische Sichtweise der Neuzeit, die im Beitrag von Beschorner und Kolmar erkennbar wird, muss man jedenfalls nicht teilen – gerade auch im Hinblick auf das Ausmaß der staatlichen Kontrolle der Gesellschaft in der Zeit davor.
Warum jede moderne Ethik ein naturwissenschaftliches Fundament braucht
Ein weiterer Schuldiger an der von Beschorner und Kolmar erkannten Misere sind die Naturwissenschaften: „Die auch heute noch dominant an wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten vermittelten Inhalte speisen sich – in der Volks- wie in der Betriebswirtschaftslehre – aus einem den Naturwissenschaften nahen Denken. (…) Schwierigkeiten mit der Moral gibt es im Grunde erst einmal gar nicht, da sie in diesem Denken nicht wirklich relevant ist.“ Nicht näher begründet wird, warum „Moral“ in den Sozialwissenschaften einen anderen Stellenrang haben sollte als in den Naturwissenschaften. In den Natur- wie in den Sozialwissenschaften versucht man Kausalbeziehungen zu finden und zu axiomatisch zu erklären. Wenn alles gut geht, findet man eine Theorie, die sich empirisch einigermaßen bewährt – in den Naturwissenschaften derzeit wohl noch häufiger als in den Sozialwissenschaften. Die Frage, was mit diesem Wissen dann zu geschehen hat, kann weder von den Naturwissenschaften noch von den Sozialwissenschaften mit den Methoden der empirischen Forschung geklärt werden (Hume (1739)). Hier ist immer eine normative (= ein Handlungsziel festlegende) Entscheidung notwendig. Ob das physikalische Wissen für den Bau eines Kohlekraftwerks oder für den Bau einer Windkraftanlage eingesetzt werden soll, kann ebenso wenig mit den Methoden der empirischen Forschung entschieden werden, wie die Frage, welche Einkommensverteilung eine Gesellschaft als erstrebenswert ansehen möchte. Handlungsziele können weder von den Naturwissenschaften noch von den Sozialwissenschaften gesetzt werden. Sie müssen in von der Gesellschaft gesetzt werden, die sich dieses Wissen zu Nutze machen möchte. In freiheitlich verfassten Gesellschaften überlässt man den größten Teil dieser Entscheidungen den Individuen. Nur dort wo es bei individuellen Entscheidungen zu Konflikten kommen kann, muss die Gesellschaft als Ganzes eine kollektive Entscheidung treffen. In demokratisch verfassten Gesellschaften geschieht dies normalerweise in Parlamenten, begleitet und beeinflusst von Diskussion in den Medien und der Öffentlichkeit.
Insofern sind die Natur- ebenso wie die Sozialwissenschaften in einem freiheitlich verfassten Rechtsstaat in der Tat nicht der Ort, an dem normative Probleme verhandelt werden. Das von Ihnen bereit gestellte Wissen hat aber häufig starken Einfluss auf normative Entscheidungen, weil das erfahrungswissenschaftliche Wissen zusammen mit der Ressourcenverfügbarkeit über den Handlungsspielraum entscheidet, der für normative Entscheidungen zur Verfügung steht. Es ist also nur schwer ersichtlich, wie eine moderne Ethik ohne Berücksichtigung erfahrungswissenschaftlicher und damit auch naturwissenschaftlicher Erkenntnisse auskommen kann.
Das gilt umso mehr, als Forschungsergebnisse aus einigen Bereichen der Naturwissenschaften jede Ethik in ihren Grundvoraussetzungen betreffen. So deuten ein Vielzahl neurobiologischer Untersuchungen darauf hin, dass es in jedem Säugetiergehirn ein etwa erbsengroßes Areal, den Nucleus accumbens gibt, das entscheidenden Einfluss auf die Wahl von Handlungszielen hat (Blum et al. (2012), Nestler, Hyman, Malenka (2009), Olds und Milner (1954)). Vereinfach gesagt, sorgt der Nucleus accumbens dafür, dass es immer dann zu Glücksgefühl evozierenden Dopaminausschüttungen kommt, wenn sich ein Lebewesen erfolgreich an der „Maslowschen Bedürfnispyramide“ abarbeitet. Ein neurochemischer Mechanismus den die Neurobiologen „Habituation“ nennen, produziert dabei einen Effekt, der in der ökonomischen Theorie als „2. Gossensches Gesetz“ bekannt ist.Wenn Handlungsziele aber in dieser Form von der Evolution in die „Hardware“ jedes Lebenwesens einprogrammiert wurden, dann stellt sich natürlich die Frage, in wieweit die von konventionellen Ethiken unterstellte menschliche Willensfreiheit tatsächlich existiert. Die sehr starke menschliche Intuition, dass alle Entscheidungen „bewusst“ und „frei“ getroffen werden, ist falsch – wie bekannte neurophysiologische Experimente zeigen (Benjamin Libet (1985), Soon, Brass, Heinze, Haynes (2008), Fried, Mukamel, Kreiman (2011). Auch einfache psychologische Tests zeigen immer wieder, dass menschliches Verhalten stark von unbewussten Prozessen abhängt (Bargh, Chen, Burrows (1996), Mussweiler (2006)).
Die akademische Philosophie beschäftigt sich schon seit einiger Zeit intensiv mit den ethischen Konsequenzen dieser naturwissenschaftlichen Forschungsergebnisse – und kommt dabei zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen, wie etwa die Arbeiten von Pauen und Roth (2008) oder Schmidt-Salomon (2010) zeigen. Das wirft natürlich die Frage auf, ob nicht auch die Wirtschaftsethik – insbesondere wenn sie Handlungsempfehlungen geben möchte, wie die „dass jeder von uns, in jeder Handlung, die Frage der Verantwortung stärker in den Vordergrund stellen muss“ – sich mit dem naturwissenschaftlichen Befund stärker auseinandersetzen sollte, anstelle sich darüber zu beklagen, dass die „auch heute noch dominant an wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten vermittelten Inhalte“ sich „aus einem den Naturwissenschaften nahen Denken“ speisen?