Mein von der Hochschule gelöschtes Professorenprofil:

Forschungsaktivitäten:

Probleme der Europäischen Währungsunion

Einen Schwerpunkt der Forschungstätigkeit Rainer Maurers bildete in den vergangenen Jahren die empirische Analyse von Problemen der Europäischen Währungsunion (EWU). Als die EWU gegründet wurde, war es offensichtlich, dass zwischen den Mitgliedsländern große strukturelle Unterschiede bestanden. Nach der sogenannten „Lokomotivtheorie“ kann eine Währungsunion jedoch über die Intensivierung des Handels zu einer verstärkten ökonomischen Integration führen, so dass die Wahrscheinlichkeit asymmetrischer Schocks im Zeitverlauf sinkt und sich die ökonomischen Strukturen der Mitgliedsländer einem „optimalen Währungsraum“ annähern. Eine Währungsunion wäre demnach in der Lage die Voraussetzung für ihre eigene Existenz zu schaffen. Nach der sogenannten „Krönungstheorie“ jedoch müssen die strukturellen Unterschiede vor der Gründung einer Währungsunion überwunden werden, da ansonsten asymmetrische Schocks zu stark sind, um von der Fiskalpolitik der Mitgliedsländer alleine absorbiert werden zu können. Die resultierenden Stabilitätskosten würden dann auf Dauer den Zusammenhalt der Währungsunion gefährden.

Ein wichtiger Indikator für den Grad der ökonomischen Integration einer Währungsunion sind die Preisniveaus der Mitgliedsländer: Die Preise handelbarer Güter sollten sich bei Freihandel bis auf die Transaktionskosten des Handels angleichen. Nach dem Balassa-Samuelson Theorem sollten sich aber auch die Preise nicht-handelbarer Güter (u.a. Dienstleistungen) bei einer Vertiefung der ökonomischen Integration, die zu einer Konvergenz der Arbeitsproduktivität führt, längerfristig angleichen. Demnach kann der Grad der ökonomischen Integration einer Währungsunion also anhand der langfristigen Konvergenz der Preisniveaus überprüft werden. Auch die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank haben in mehreren Veröffentlichungen die Auffassung vertreten, dass es langfristig zu einem Konvergenzprozess der Preisniveaus der Mitgliedsländer kommen müsste.

Die empirischen Arbeiten Rainer Maurers fokussieren deshalb auf Tests der Stationarität der realen Wechselkurse bzw. auf Tests der Kointegration ihrer Komponenten. Stationäre reale Wechselkurse sind kompatibel mit einer langfristigen Konvergenz der Preisniveaus hin zu einer transaktionskostenbedingten Konstante sind, erlauben aber realistischerweise kurzfristige stochastische Abweichungen. Ein gegenteiliges Ergebnis, nicht-stationäre reale Wechselkurse stellen eine notwendige und hinreichende Bedingung für eine langfristige Divergenz der Preisniveaus dar (vgl. Simulations-Modul).

Im Rahmen des Forschungsprojektes „The Time Series Properties of the Real Exchange Rates Between the Member States of the European Monetary Union” (Maurer, 2019, Credit and Capital Markets, Volume 52, Issue 2) wurde deshalb die Stationarität der realen Wechselkurse der zwölf Gründungsmitglieder der EWU auf Basis der Monatswerte der von der OECD veröffentlichten Verbraucherpreisindizes untersucht. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich dabei auf drei Zeiträume: Bretton-Woods System (1960:1 bis 1972:12), Europäischer Wechselkursmechanismus (1973:1 bis 1998:12) und Europäische Währungsunion (1999:1 bis 2017:5). Die Ergebnisse unterschiedlicher Tests auf Basis von Panel-Daten und Zeitreihen-Daten zeigen im Allgemeinen, dass die realen Wechselkurse über alle Untersuchungszeiträume nicht stationär sind und ihre Komponenten nicht kointegriert sind. Die Gründung der EWU und der damit einhergehende Wegfall des nominalen Wechselkurses hatte also keine erkennbaren Auswirkungen. Zwar finden sich in allen Untersuchungszeiträumen auch einige Beispiele für stationäre reale Wechselkurse, diese betreffen aber stets unterschiedliche Länderpaare und erlauben deshalb nicht die Identifikation einzelner „Konvergenz-Clubs“.

Im Rahmen des Forschungsprojektes „Price Levels in the European Monetary Union: Even Tradables Follow Independent Random Walks” (Maurer, 2022, Journal of International Financial Markets, Institutions and Money, im Erscheinen, Preprint hier, Tabellenanhang hier) wurde die Analyse für die 12 Gründungsmitglieder der EWU ausgeweitet auf den von EUROSTAT auf Monatsbasis veröffentlichten Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HICP) und 8 seiner Teilkomponenten (Güter insgesamt, Dienstleistungen insgesamt, Bekleidung, nicht-alkoholische Getränke, Personenkraftwagen, Produktionsmaschinen, Kommunikationsdienstleistungen, Restaurants und Hotels) für den Zeitraum 1999:1 bis 2019:9.

Eine genauere Analyse der Zeitreiheneigenschaften der HICPs der einzelnen Länder zeigt, dass diese allesamt nicht-stationären Zufallspfaden folgen. Die Drift-Parameter der Zufallspfade unterscheiden sich dabei signifikant. Sie sind nicht um eine gemeinsame Zielinflationsrate gruppiert. Es ist der EZB im Betrachtungszeitraum also nicht gelungen, eine einheitliche Zielinflationsrate im Zeitreihenprozess der HICPs zu verankern. Bei der Analyse der Zeitreiheneigenschaften der realen Wechselkurse resultieren jeweils 66 Länderpaare, so dass insgesamt für jeden der 9 Preisindikatoren rund 16360 Datenpunkte ausgewertet wurden. Die Ergebnisse der Test zeigen wiederum, dass die realen Wechselkurse typischerweise nicht stationär (Übersichtstabelle: Stationaritätstests) sind und ihre Komponenten nicht kointegriert sind  (Übersichtstabelle: Kointegrationstests). Das gilt erstaunlicherweise auch für die Preisindizes handelbarer Güter (Bekleidung, nicht-alkoholische Getränke, Personenkraftwagen, Produktionsmaschinen). Ausnahmen für bestimmte „Konvergenz-Clubs“ von Ländern finden sich ebenfalls nicht. Eine Erklärung für dieses Ergebnis könnte monopolistische Preisdiskriminierung und/oder lokale Vertriebskosten bei handelbaren Gütern sein. Hier besteht sicherlich weiterer Forschungsbedarf.

Basierend auf diesen Ergebnissen könnten folgende wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Reduzierung der Preisniveaudivergenzen ergriffen werden: (1) Intensivierung der europäischen Wettbewerbspolitik mit dem Ziel, nationale Markteintrittsschranken weiter abzubauen, um so die Integration der Märkte zu vertiefen. (2) Bessere Koordination nationaler Fiskalpolitiken mit dem Ziel der Preisniveaukonvergenz. (3) Länderspezifische Differenzierung geldpolitischer Instrumente, wie z.B. Mindestreserveanforderungen der Geschäftsbanken oder die Einführung länderspezifischer Hauptrefinanzierungssätze. Alle diese wirtschaftspolitischen Maßnahmen können unerwünschte Nebenwirkungen haben, die zu Zielkonflikten führen. Deshalb können solche Entscheidungen in letzter Instanz nicht von der Wissenschaft getroffen werden, sondern sie bleiben den politischen Verantwortlichen vorbehalten.

Agrarpolitik und Biodiversität

Ein weiteres Forschungsprojekt Rainer Maurers beschäftigte sich mit den Auswirkungen von agrarpolitischen Extensivierungsmaßnahmen auf die Biodiversität. So zielt beispielsweise die aktuelle EU-Agrarreform 2023–2027 auf eine Reduzierung des Einsatzes gefährlicherer Pestizide um 50 % (Ziel 6), einen Mindestanteil von 25 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche für den ökologischen Landbau bis 2030 (Ziel 8) sowie eine Reduzierung des Düngemitteleinsatzes um mindestens 20 % (Ziel 13). Während es auf der einen Seite empirisch nachweisbar ist, dass derartige Extensivierungsmaßnahmen die Biodiversität auf den jeweiligen Anbauflächen im Vergleich zu vorher erhöhen, ist es auf der anderen Seite ebenfalls eine empirische Tatsache, dass der Produktionsertrag durch Extensivierungsmaßnahmen im Normalfall sinkt. Damit stellt sich die Frage, wie stark der Biodiversitätseffekt einer alternativen Maßnahme wäre, die darin bestünde, die Produktionsfläche auf den intensiv (konventionell) bewirtschafteten Flächen, so weit zu reduzieren, wie es dem Ertragsrückgang bei einer Extensivierungsmaßnahme entspricht. Die dabei frei gesetzten Flächen könnten dann zusammengelegt und renaturiert werden (Renaturierungsmaßnahme), so dass auf diesen Flächen eine noch höhere Biodiversität entstehen könnte, als auf extensiv bewirtschafteten Flächen. Damit stellt sich die Frage, welche der beiden ertragsgleichen Handlungsalternativen per Saldo zu einer höheren Biodiversität führt?

Zur Beantwortung dieser Frage werden fünf empirische Indikatoren benötigt: Ein Maß für Flächenproduktivität vor und nach Einführung der Extensivierungsmaßnahme, ein Maß für die Biodiversität vor und nach Einführung der Extensivierungsmaßnahme und ein Maß für die Biodiversität in freier Natur. Mit diesen Informationen kann dann berechnet werden, bei welcher Handlungsalternative die größere Biodiversität resultiert (Maurer, 2022, Ist ökologischer oder konventioneller Landbau besser für die Biodiversität?, Wirtschaftsdienst 102, 303-309). Wie man zeigen kann, ist es möglich die Frage auf drei verschiedene Arten beantwortet werden, die mathematisch identisch sind: Man kann das Niveau der Gesamtbiodiversität die bei der Extensivierungsmaßnahme mit dem Niveau der Gesamtbiodiversität bei der Renaturierungsmaßnahme vergleichen (Herleitung 1). Man kann den Anstieg der Biodiversität bei der Extensivierungsmaßnahme mit dem Anstieg der Gesamtbiodiversität bei der Renaturierungsmaßnahme vergleichen (Herleitung 2). Man kann das Verhältnis der Biodiversitätslücke auf den intensiv bewirtschafteten Flächen in Relation zur der Biodiversitätslücke auf den extensiv bewirtschafteten Flächen setzen und mit dem Verhältnis der Flächenproduktivität auf den intensiv bewirtschafteten Flächen zu der Flächenproduktivität auf den extensiv bewirtschafteten Flächen vergleichen (jeweils letzte Zeile in Herleitung 1 und Herleitung 2). Das folgende Schaubild veranschaulicht den Zusammenhang anhand des Vergleiches des Anstiegs der Biodiversität beim einem Übergang zu ökologischem Landbau (linke Seite) mit dem Anstieg der Gesamtbiodiversität bei einer ertragsgleichen Reduzierung des konventionellen Landbaus (rechte Seite) auf Basis der Daten von Tabelle 4 in Maurer (2022):

Hochschulpolitik: Der logische Widerspruch zwischen einem politischen Engagement von Hochschulleitungsgremien und dem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit

Ein weiter Schwerpunkt der Forschungstätigkeit Rainer Maurers bilden hochschulpolitische Fragen. Vor noch nicht allzu langer Zeit war es selbstverständlich, dass staatliche Hochschulen sich am Prinzip der weltanschaulichen Neutralität orientierten. Auf institutioneller Ebene galten auch im Hochschulbereich die Prinzipien des sogenannten „Beutelsbacher Konsenses“: Indoktrinationsverbot, Kontroversitätsgebot und Individualorientierung.

Seit ungefähr 10 Jahren erodiert dieses Selbstverständnis zunehmend. Die Hochschule Pforzheim hat im März 2008 die sogenannten „Principles of Responsible Management Education“ (PRME-Kodex) unterzeichnet, die die Hochschule dazu verpflichten wirtschafts- und unternehmenspolitische Zielvorstellungen, die im Global Compact der UN vertreten werden, den akademischen Aktivitäten und Curricula von Hochschulen „einzuverleiben“ (“We will incorporate into our academic activities and curricula the values of global social responsibility as portrayed in international initiatives such as the United Nations Global Compact.” (PRME, Principle 2)). Der UN Global Compact verpflichtet Unternehmen, die ihn unterzeichnen z.B. zur Umsetzung von Umwelt- und Sozialstandards, die über gesetzliche Verpflichtungen hinausgehen.

Natürlich ist es mit dem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit vereinbar (wenn gleich aber auch nicht notwendig), wenn einzelne Wissenschaftler, derartige wirtschafts- und unternehmenspolitische Zielvorstellungen vertreten möchten. Allerdings darf kein Wissenschaftler weder direkt noch indirekt von Hochschulleitungsgremien unter Druck gesetzt werden, solche politischen Positionen zu vertreten. Denn in den wissenschaftlichen Debatten werden solche Positionen immer kontrovers diskutiert. So ist zum einen die Gewichtung von Handlungszielen ein normatives Problem. Normative Probleme lassen sich aber nach weitverbreiteter Ansicht nicht allgemeinverbindlich klären (Maurer, Rainer (2016), Unternehmerische Verantwortung für nachhaltige Entwicklung – eine sinnvolle Forderung?, Journal for Markets and Ethics, 4 (1)). Zum anderen ist es aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht auf Basis von Standardtheorien ebenso wie auf Basis von neueren Ergebnissen der experimentellen Forschung bestreitbar (Maurer 2017, Can CSR-based Self-regulation be a Substitute for Legal Regulation? Conclusions from Public Goods Experiments, Journal of Self-Regulation and Regulation, Vol. 3), ob Unternehmen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen Spielräume haben, über gesetzliche Verpflichtungen hinaus Umwelt- oder Sozialpolitik zulasten anderer Zielsetzungen zu betreiben. Auch aus juristischer Sicht ist es bestreitbar, ob das Management eines Unternehmens tatsächlich anderes darf, als primär die Interessen der Unternehmenseigner zu vertreten (§255 StGB Veruntreuung). Über all diese Fragen wird, wie in der Wissenschaft üblich, von Seiten der verschiedenen Forscher ein offener Diskurs geführt. Die Hochschule als Institution ist nicht dazu berufen, an diesem Diskurs teilzunehmen und für eine bestimmte wissenschaftliche Positionierung Partei zu ergreifen. Vielmehr hat die Hochschule die institutionellen Grundlagen für freie Forschung und Lehre und damit auch für den freien wissenschaftlichen Diskurs herzustellen.

Durch die Festlegung der Hochschule auf bestimmte wirtschafts- und unternehmenspolitische Zielvorstellungen, wird der ergebnisoffene Diskurs über alternative wirtschafts- und unternehmenspolitische Zielvorstellungen an der Hochschule wesentlich beeinträchtigt, weil die Hochschulleitung im Rahmen ihrer Entscheidungskompetenzen eine Fülle latenter Sanktionsmöglichkeiten besitzt. Ein freier Diskurs alternativer Meinungen ist jedoch sowohl für die Forschung als auch für die Lehre notwendig. Der einzelne Forscher ist bei seiner Arbeit auf die offene, unbeeinflusste Rückmeldung seiner Kollegen angewiesen. Ebenso ist der Lehrende darauf angewiesen, dass die Studierenden frei und ohne Angst vor möglichen Sanktionen die in der fachwissenschaftlichen Literatur gegebenen unterschiedlichen Lehrmeinungen diskutieren können. Dies ist aber gerade bei schriftlichen Haus- oder Abschlussarbeiten nicht mehr gegeben, wenn die Hochschule als Institution sich öffentlich zu bestimmten wirtschafts- und unternehmenspolitischen Zielvorstellungen bekannt hat.

Die explizite Verpflichtung der Hochschule, die wirtschafts- und unternehmenspolitischen Zielvorstellungen des PRME-Kodex den Aktivitäten und Curricula von Hochschulen „einzuverleiben“ (PRME, Principle 2), steht in logischem Widerspruch zur der von Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz ausgehenden Verpflichtung der Hochschule die Freiheit von Lehre und Forschung der einzelnen Professoren zu garantieren. In der Praxis bedeutet dieser logische Widerspruch, dass die Hochschule niemals beide Verpflichtungen zugleich erfüllen kann.

Rainer Maurer hat deshalb schon früh gegen diesen Versuch, Hochschulinstitutionen zur Verbreitung politischer Ideologien zu missbrauchen, ausgesprochen. So hat er in dem Pforzheimer Beitrag „Auf dem Weg zur weltanschaulichen Bekenntnisschule, Maurer (2015)“ darauf hingewiesen, dass Studierende mündige Staatsbürger sind, die das Recht haben ihre eigene politische Meinung zu vertreten und nicht unter Druck gesetzt werden dürfen, als Erfüllungsgehilfe politischer Programme etwa „an der großen Transformation zu Nachhaltiger Entwicklung“ (Kurz, 2014, S. 129, PRME – globaler Kontext und regionale Umsetzung) mitzuwirken. Nach der Veröffentlichung seines Pforzheimer Beitrags erhielt Rainer Maurer von einer Reihe von Kollegen zustimmende Rückmeldungen, die den gemeinsamen Tenor hatten, dass im Hinblick auf das weltanschauliche Engagement der Hochschule zumindest Diskussionsbedarf besteht. In vier Fällen liegen diese Rückmeldungen auch als E-Mails vor. Die Pforzheimer Zeitung griff das Thema auf und veröffentlichte dazu den Artikel „Streit um Leitbild an der Hochschule“. In diesem Artikel behauptete der Rektor der Hochschule, Ulrich Jautz, dann, mit Blick auf die von Rainer Maurer vertretene Position „Der Kollege ist vollkommen isoliert – auch im eigenen Fachbereich“. Eigentlich hätte die Pforzheimer Zeitung an dieser Stelle nachfragen müssen, wie Herr Jautz zu dieser Einschätzung gekommen ist. Eine Umfrage unter den Dozenten der Hochschule hatte es auf jedenfalls nicht gegeben. Herr Jautz konnte also nicht mit Sicherheit wissen, ob seine Behauptung stimmt. Offensichtlich hat er wissentlich in Kauf genommen, dass seine Einschätzung möglicherweise falsch ist. Die Rainer Maurer vorliegenden E-Mails zeigen, dass letzteres tatsächlich der Fall ist. Es ist naheliegend, dass durch diese Reaktion des Rektors der Hochschule Pforzheim eine offene Diskussion des weltanschaulichen Engagements der Hochschule erheblich erschwert erheblich erschwert wird. Der Vorfall kann also als empirischer Hinweis gewertet werden, dass sich Hochschulleitungen, die das Prinzip der weltanschaulichen Neutralität aufgeben, schwertun, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen ein freier wissenschaftlicher Diskurs strittiger Themen noch möglich ist.

Wie schwer ein offener Austausch von Argumenten an der Hochschule mittlerweile geworden ist, zeigte sich auch anlässlich des Symposiums „Lehre-Transfer-Innovation: Die Rolle der Hochschule in der Gesellschaft“, das am 16. Januar 2019 an der Hochschule Pforzheim stattfand. Dort behauptete der Kollege Jürgen Volkert am Ende eines Vortrags von Rainer Maurer zum Thema „Ist angesichts sogenannter „großer gesellschaftlicher Herausforderungen“ ein Umbau des Wissenschaftssystems erforderlich?“, dass in der Volkswirtschaftslehre ein allgemeiner Konsens besteht, bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen „utilitaristische Wohlfahrtsfunktionen“ zu maximieren. Damit sollte Maurers Plädoyer gegen eine Instrumentalisierung des Hochschulsystems zugunsten bestimmter politischer Weltanschauungen entwertet werden. Nachdem Maurer dies mit Verweis auf bekannte Lehrbuchliteratur öffentlich zurückgewiesen hatte, veröffentlichte Jürgen Volkert daraufhin seine Position in einer E-Mail (Verknüpfung).

In Maurers Entgegnung (Verknüpfung), die für die Reihe „Pforzheimer Beiträge“ geplant war, hatte kritisierte diese Replik vor allem in zwei Punkten:

  1. Vor dem Hintergrund der Geschichte der Wohlfahrtsökonomik widerspricht die Aussage von Jürgen Volkert, dass in der Volkswirtschaftslehre ein allgemeiner Konsens besteht, bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen, utilitaristische Wohlfahrtsfunktionen zu maximieren und, dass „der Utilitarismus in jedem Fall, anders als von Rainer Maurer unterstellt, eine zentrale ethische Grundlage der Ökonomik“ bleibt, schlicht den Tatsachen. Wie man jedem einschlägigen Lehrbuch der Wohlfahrtsökonomik (z.B. Boadway und Bruce (1991)) und insbesondere dem „Handbook of Social Choice and Welfare“ entnehmen kann, war spätestens seit Ende der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts die erklärte Absicht vieler Ökonomen, sich von den engen normativen Vorstellungen des Utilitarismus zu befreien. Viele dieser neuen Ansätze verfolgten dabei das explizite Ziel, die Beschreibung von Zuständen auf der Basis deskriptiver Theorien von der Bewertung dieser Zustände durch unterschiedliche normative Wertesysteme in Form von Sozialen Wohlfahrtsfunktionen zu trennen. Tabelle 1 von Maurers Beitrag (Verknüpfung) gibt einen Überblick der Geschichte dieser Entwicklung. Die Behauptung, dass „die utilitaristische Maximierung des Gesamtnutzens (Glück, Zufriedenheit) eine Grundlage der Ökonomik darstellt“ ist also faktisch falsch. Sie diskreditiert die Bemühungen mehrerer Generationen von Ökonomen, die Wohlfahrtsökonomik offen zu halten, für eine Trennung von ökonomischer Beschreibung von Zuständen und deren normativer Bewertung durch unterschiedliche ethische Weltanschauungen. Darüber hinaus verstrickt sich Jürgen Volkert natürlich in einen logischen Widerspruch, wenn er im Eingang seiner Replik schreibt, dass „die utilitaristische Maximierung des Gesamtnutzens (Glück, Zufriedenheit) eine Grundlage der Ökonomik darstellt“ und am Ende seiner Replik darauf verweist, dass der „Capability-Ansatz“ von Amartya Sen (2009) „vom Sachverständigenrat (2011) als Konzeption menschlichen Wohlergehens für Deutschland operationalisiert“ wurde, denn der „Capability-Ansatz“ unterscheidet sich wesentlich vom „Utilitarismus“. Der „Utilitarismus“ bewertet die konkreten Ergebnisse von Handlungen, während der „Capability-Ansatz“ in bewusster Abgrenzung dazu die Freiheitsspielräume bewertet, die durch Handlungen ermöglicht werden. Wenn „der Utilitarismus in jedem Fall, anders als von Rainer Maurer unterstellt, eine zentrale ethische Grundlage der Ökonomik“ darstellt, dann stellt sich die Frage, warum der deutsche Sachverständigenrat zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in einem Gemeinschaftsgutachten mit dem französischen Conseil d’Analyse Économique nicht den Utilitarismus sondern den „Capability-Ansatz“ von Amartya Sen zur Konstruktion eines Systems von Wohlfahrtsindikatoren heranzieht?
  2. In seiner Replik schreibt Jürgen Volkert Max Weber „Eine völlig wert- und gesinnungsfreie Wissenschaft ist nicht denkbar. Dementsprechend betont Weber (1904: S. 33): »Gesinnungslosigkeit und wissenschaftliche Objektivität haben keinerlei innere Verwandtschaft«“. Stellt man dieses Max Weber Zitat jedoch seinen Gesamtzusammenhang, wird deutlich, dass der Text von Max Weber keine Grundlage für die Schlussfolgerung „Eine völlig wert- und gesinnungsfreie Wissenschaft ist nicht denkbar“ bietet. So heißt es an besagter Stelle: „Die stete Vermischung wissenschaftlicher Erörterung der Tatsachen und wertender Raisonnements ist eine der zwar noch immer verbreitetsten, aber auch schädlichsten Eigenarten von Arbeiten unseres Faches. Gegen diese Vermischung, nicht etwa gegen das Eintreten für die eigenen Ideale richten sich die vorstehenden Ausführungen. Gesinnungslosigkeit und wissenschaftliche »Objektivität« haben keinerlei innere Verwandtschaft (Weber (1904a, S. 157). Der Satz „Gesinnungslosigkeit und wissenschaftliche »Objektivität« haben keinerlei innere Verwandschaft“ bezieht sich also auf die wohl kaum bestreitbare Tatsache, dass Wissenschaftler, wie die meisten Menschen, ein persönliches Wertesystem haben, in der Sprache Max Webers „eigene Ideale“ bzw. eine eigene „Gesinnung“. Nichtsdestsotrotz, plädiert Max Weber im Satz zuvor gegen eine „Vermischung wissenschaftlicher Erörterung der Tatsachen und wertender Raisonnements“ – also gegen eine Vermischung von deskriptiver (oder positiver) Analyse von Tatsachen und der Bewertung dieser Tatsachen durch das persönliche Wertesystem. Er bezeichnet diese „Vermischung“ sogar als eine der „schädlichsten Eigenarten von Arbeiten unseres Faches“. Ein solches sinnentstellendes Zitat wiegt umso schwerer, als in den Richtlinien der Fakultät für Wirtschaft und Recht für das Anfertigen schriftlicher Arbeiten der Hochschule Pforzheim auf Seite 16 ausdrücklich festgehalten wird: „Sinnentstellende oder einseitige Darstellungen des in der Quelle stehenden Textes sind schwere wissenschaftliche Fehler„.

Sinnentstellende Zitate, Nichtberücksichtigung eines wichtigen Teils der Fachliteratur und ein eklatanter logischer Widerspruch in der Argumentation, werfen natürlich schon die Frage auf, ob hier die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis eingehalten wurden. Legt man die „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zugrunde, können Zweifel daran resultieren. Immerhin heißt es dort unter Leitlinie 9 (S. 15): „Forschungsdesign: „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berücksichtigen bei der Planung eines Vorhabens den aktuellen Forschungsstand umfassend und erkennen ihn an“. Fachliteratur wäre also in vollem Umfang zu berücksichtigen. Unter Leitlinie 12 (S. 17-18) heißt es in der Erläuterung: „Eine wichtige Grundlage für die Ermöglichung einer Replikation ist es, (…) die Nachvollziehbarkeit von Zitationen zu gewährleisten“. Ein sinnentstellendes Zitat würde also auch gegen Leitlinie 12 verstoßen. Ein direktes Verbot von logischen Widersprüchen findet sich in den DFG-Leitlinien nicht. Allerdings heißt es in Leitlinie 11 (S. 17): „Zur Beantwortung von Forschungsfragen wenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissenschaftlich fundierte und nachvollziehbare Methoden an“. Da aus einem logischen Widerspruch (p ˄ ¬p) jede beliebige Aussage x gefolgert werden kann ((p ˄ ¬p) => (p ˄ ¬p v x) => x), könnte man einen logischen Widerspruch also durchaus als Verstoß gegen Leitlinie 11 aufassen.

Zu welcher Antwort man bei der Beurteilung der Frage, ob die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis eingehalten wurden, man auch immer kommt, eine offene Diskussion der angesprochenen Probleme sollte mit direkter Bezugnahme auf den Text möglich sein. Doch leider wurde darin vom Herausgeberkreis der „Pforzheimer Beiträge“ eine Verletzung der „Persönlichkeitsrechte“ Jürgen Volkerts gesehen. Die ursprüngliche Entgegnung (Verknüpfung) musste deshalb so umgeschrieben werden, dass der Name und die Replik Jürgen Volkerts darin nicht mehr erscheint. Es ist natürlich schwer, den Inhalt eines Textes zu diskutieren, wenn man aus dem Text nicht zitieren darf. Rainer Maurer hat es mit dem Pforzheimer Beitrag Nr. 173 (Verknüpfung) trotzdem versucht. Rainer Maurer glaubt aber, dass die Wissenschaft die Fähigkeit zur Fehlerkorrektur verlieren würde, wenn dieses ihm auferlegte Verfahren zur allgemeinen Regel gemacht würde.

2 Kommentare zu „Mein von der Hochschule gelöschtes Professorenprofil:

  1. Der einzige Prof, der alternative Ansichten nicht nur duldet, sondern explizit zum eigenständigen Denken anregt. Leider ist es seitens der Hochschule Pforzheim nicht gewollt, sich kritisch mit Dingen auseinanderzusetzen. Stattdessen wird ein Dogma vorgegeben, welches akribisch zu befolgen ist. Wiederhole! Hinterfrage nicht! Was dort seit einigen Jahren abgeht, ist absolut nicht tragbar. Bitte bleiben Sie wie Sie sind Prof Maurer!

  2. Ohne Ihre Anregung Dinge kritisch zu hinterfragen, wäre ich heute nicht der, der ich bin. Vielen Dank dafür.
    Liebe Grüße, Y. Gürbüz

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