Neues aus der Unternehmensethik: Statt Gewinnmaximierung sagt man jetzt "Strategic Corporate Social Responsibility"

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Etwas mehr als 30 Hochschulen aus dem deutschsprachigen Raum haben sich mittlerweile durch die Unterzeichnung der „Principles of Responsible Management Education“ (PRME) verpflichtet, bestimmte unternehmenspolitische Zielvorstellungen ihren Studierenden zu „vermitteln“. Viele dieser politischen Ziele sind in der Wirtschaftswissenschaft nicht unumstritten. So heißt es im PRME-Kodex „We will incorporate into our academic activities and curricula the values of global social responsibility as portrayed in international initiatives such as the United Nations Global Compact.“ Der „UN Global Compact“ verpflichtet Unternehmen nicht nur zur Gesetzestreue und Einhaltung der Menschenrechte, sondern auch zur Anerkennung des Tarif- und Streikrechts von Arbeitnehmervereinigungen in Ländern, die ein solches Recht nicht gewährleisten. Die Wirkung von Tariflohnsystemen auf den Arbeitsmarkt wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Es gibt Modelle, in denen es durch Tariflohnsysteme unter recht plausiblen Annahmen zu Arbeitslosigkeit oder Entwicklungsblockaden kommen kann (Lindbeck/Snower (2002)). Für viele Entwicklungsländer sind im internationalen Vergleich niedrige Löhne eine Möglichkeit, Investoren anzulocken und einen Aufholprozess in Gang zu setzen, der langfristig zu höheren Einkommen führt, wie hier schon einmal diskutiert. Zumindest dürfte kaum bestreitbar sein, dass die Rolle von Tariflohnsystemen im Wirtschaftsprozess mit guten Gründen kritisch eingeschätzt werden kann. Deshalb wird nicht jeder Dozent wird diese Position des PRME-Kodexes in seinen Vorlesungen freiwillig vertreten wollen.

Eine andere in der Wirtschaftswissenschaft umstrittene Position des PRME-Kodexes ist die Rolle der Unternehmen im Umweltschutz. Der PRME-Kodex möchte das Management von Unternehmen verantwortlich machen, für eine „nachhaltige globale Umweltentwicklung“. Zwar herrscht in der Wissenschaft heute ein sehr weitgehender Konsens darüber, dass es im Bereich des Umweltschutzes regelmäßig zu Marktversagen kommt. Viele Ökonomen sehen es aber als primäre Aufgabe des Staates an, diese Art von Marktversagen durch eine ordnungspolitische Rahmensetzung, die das Handeln von Unternehmen in die gesellschaftlich gewünschten Bahnen lenkt, zu bekämpfen. Sie bezweifeln, dass Unternehmensinitiativen hier viel mehr sein können als Marketingveranstaltungen. Auch an dieser Stelle gerät man also in Konflikt mit dem Verfassungsgrundsatz der Freiheit der Lehre, wenn man den PRME-Kodex Ernst nimmt.

Wenn das Management von Unternehmen auf eigene Faust Umwelt- und Sozialpolitik betreiben soll, entstehen auch Anreiz- und Kontrollprobleme zwischen dem Management und den Kapitaleignern der Unternehmen, die gravierend sein können (Jensen (2000)) und letztlich dem Vorschub leisten, was Business Ethiker ja eigentlich auch nicht wollen: Unternehmenskorruption. Es stellt sich natürlich auch die Frage, inwiefern die Eigentumsrechte der Kapitaleigner noch klar definiert sind, wenn das Management Unternehmensressourcen wie auch immer definierten „Stakeholdern“ zu kommen lässt. Alle Theorien, die die Funktionsweise von Marktwirtschaften zu erklären versuchen, benötigen die Annahme hinreichend wohldefinierter Eigentumsrechte. Auch würde sich in vielen Ländern ein Management, das im Rahmen einer Corporate Social Responsibility (CSR) Konzeption die Unternehmenspolitik ohne Einwilligung der Kapitaleigner tatsächlich an den Interessen aller „Stakeholder“ (etwa im Sinne von John Elkington (1999)) ausrichtet, des Straftatbestandes der Untreue schuldig machen (Deutschland (§ 266 StGB), Österreich (§ 153 ÖStGB), Schweiz (Art. 138 StGB)). Hochschulen, die ihre Studierende auf diese Probleme nicht hinweisen und CSR als ethische Verpflichtung vermitteln, so wie es der Intention der PRME entspricht, begeben sich in der Tat in einen strafrechtlichen Graubereich (Deutschland (§ 26 StGB), Österreich (§ 12 ÖStGB), Schweiz (Art. 24 StGB)).

Wie aber kann eine Hochschule, die sich nun einmal bereits dem PRME-Kodex verschrieben hat und die entsprechende institutionelle, personelle und kurrikulare Infrastruktur schon aufgebaut hat, diesem Polylemma aus strafrechtlichen, verfassungsrechtlichen und nicht zuletzt wirtschaftswissenschaftlichen Bedenken entgehen? Es scheint die Hochschule Pforzheim hat nun in ihrem gerade erschienenen „PRME Report on Progress“ eine Lösung gefunden. Anstelle echter CSR, die einen Gewinnverzicht zugunsten sozial- und umweltpolitischer Ziele erfordert, bekennt man sich nun dazu, den Studierenden „strategische CSR“ zu vermitteln. Definitionsgemäß werden im Rahmen strategischer CSR von den Unternehmen nur solche sozial- und umweltpolitischen Maßnahmen ergriffen, die dem Ziel der Gewinnmaximierung dienen. Die Zielfunktion des Unternehmens ist bei dieser „strategischen CSR“ natürlich wieder wohldefiniert, da alle Aktivitäten der Gewinnmaximierung unterworfen sind. Auch ein Konflikt zwischen dem Unternehmensziel und den Interessen der Kapitaleigner gibt es dann anscheinend nicht mehr, denn es wird ja Gewinnmaximierung praktiziert. Wird durch diesen Trick nicht auf wundersame Weise der gordische Knoten zerschlagen?

Nicht jeder wird diese Frage mit einem euphorischen Ja beantworten wollen. Wenn sozial- und umweltpolitische Aktivitäten dem Gewinnmaximierungsprinzip unterworfen sind, wird in solche Aktivitäten nur soweit investiert, wie der Umsatz, den das Unternehmen damit zusätzlich erzielen kann größer oder gleich den Kosten ist, die durch diese Aktivitäten zusätzlich entstehen. Unternehmen, die unter der Marktform monopolistischer Wettbewerb ihre Produkte verkaufen, können möglicherweise über psychologische Produktdifferenzierung durch entsprechendes Marketing, ihr Produkt gegenüber den Konkurrenzprodukten soweit in der sozial- und umweltpolitischen Wahrnehmung der Konsumenten abgrenzen, dass sie einen rentierlichen Preisaufschlag auf die Grenzkosten durchsetzen können. Sobald die Grenzkosten dann jedoch über den Grenzumsatz steigen, wird die sozial- und umweltpolitische „Verantwortung“ dieser Unternehmen abbrechen. Der Spielraum für diese Art von sozial- und umweltpolitischer Verantwortung endet also da, wo der Preissetzungsspielraum der Unternehmen endet. Das ist eine in den Augen vieler Menschen sicherlich ungewöhnliche Definition von „Verantwortung“. Man kann zurecht fragen, was hat das mit Ethik zu tun hat. Warum kann man nicht so ehrlich sein und zugeben, dass es sich hier nicht um Wahrnehmung ethischer Verantwortung handelt sondern um Marketing. Marketing muss nicht verwerflich sein. Es gibt allerdings Wertesysteme, nach denen es verwerflich ist, ein Handeln wider besseres Wissen als etwas auszugeben, was es nicht ist.

Auf vielen Märkten, auf denen aus Konsumentensicht der Preis und/oder die technologische Produktqualität die entscheidenden Parameter sind, wird es erst gar nicht zu dieser Art von „ethischem Engagement“ kommen. Billigtextil-Discounter sprechen nun einmal andere Käuferschichten an als Haute Couturiers und im Maschinenbau lässt sich das ethische Engagement der Zulieferer nicht so einfach in einen höheren Marktpreis umsetzen, wie deren technische Zuverlässigkeit. Unter solchen Bedigungen werden Unternehmen also nicht in sozial- und umweltpolitische Aktivitäten investieren, dürfen sich aber trotzdem zu Gute halten, CSR zu praktizieren – strategische CSR eben. Letztlich ist dies ein paradoxes Resultat einer paradoxen Definition, denn darauf läuft der Begriff „strategische CSR“ = „vom Eigennutz determinierte Verantwortung für uneigennützige sozial- und umweltpolitische Ziele“ hinaus. Das klemmt inhaltlich, weil es logisch betrachtet genau so ein Oxymoron ist wie „strategischer Altruismus“, „strategisches Mitleid“ oder „strategische Liebe“. Es dürfte kaum zu bestreiten sein, dass eine solche Konzeption von Unternehmensethik nicht unbedingt jedermanns Sache ist. Je nach persönlichem Wertesystem, kann man darin auch ein recht bizarres Stück Weltanschauung sehen. Nicht minder problematisch ist, dass diese strategische Konzeption von CSR nicht der eigentlichen Konzeption des PRME-Kodexes entspricht. Von einer Begrenzung unternehmerischer Verantwortung für Umwelt- und Sozialpolitik auf gewinnbringende Aktivitäten ist darin nirgendwo die Rede, denn der PRME-Kodex zielt seiner Intention nach auf echte CSR. Darf man sich öffentlich einen Ethik-Kodex auf die Fahne schreiben und ihn dann nach eigenem Gutdünken so uminterpretieren, dass er nicht mehr seiner eigentlichen Intention entspricht? Auch dies kann man – je nach persönlichem Wertesystem – als unmoralisch empfinden.

Das Unterzeichnen von Unternehmensethik-Kodizes sollten öffentliche Hochschulen den Besitzern von Unternehmen überlassen. Diese dürfen unter Berücksichtigung der bestehenden Rechtsordnung das Unternehmensziel – sei es Gewinnmaximierung, Lohnsummenmaximierung, Ressourcenproduktivitätsmaximierung oder was auch immer – je nachpersönlicher Weltanschauung selbst festlegen. Dass es eine Weltanschauung gibt, die für alle Menschen verbindlich ist, kann mit guten Gründen bestritten werden. Zu einem der wesentlichen Ergebnisse der Ethikdebatten des vergangen Jahrhunderts zählt die Erkenntnis, dass keine der verschiedenen Spielarten von Ethik aus logischen Gründen letztbegründbar ist (Begründungstrilemma der Ethik). Die pluralistisch verfassten Gesellschaften westlicher Prägung tragen dem dadurch Rechnung, dass die Wertesysteme, die in ihren Verfassungen verbindlich niedergelegt sind, Minimalkonsense sehr allgemeiner Art sind. Sie zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie den Individuen in weltanschaulicher Hinsicht große Entscheidungsspielräume einräumen. Es spricht zwar einiges dafür, dass dies nicht Ergebnis philosophischer Einsicht war, sondern Konsequenz einer geschichtlichen Entwicklung, in deren Verlauf sich das Ringen um weltanschauliche Vorherrschaft über die Jahrhunderte hinweg in verheerenden Kriegen niedergeschlagen hat. Aber dieser Umstand macht eine pluralistische Verfassung unserer Gesellschaften heute sicherlich nicht weniger notwendig.

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