Brauchen staatliche Hochschulen "ethisch fundierte" wirtschaftspolitische Leitbilder?

Eine gekürzte Version dieses Beitrags ist auch auf Ökonomenstimme erschienen.

1. Eine Ethik für alle Fälle?

In dem Maße, wie religiöse Bekenntnisse ihre Funktion als Legitimationsbasis für menschliches Handeln im öffentlichen Diskurs verlieren, scheint die Idee einer „irgendwie“ allgemein verbindlichen Ethik an Popularität zu gewinnen. Von einem regelrechten „Ethik-Boom“ ist bisweilen sogar die Rede. Im Zuge dieser Entwicklung versuchen sich nun auch staatliche Hochschulen, mit „ethisch fundierten“ wirtschaftspolitischen Leitbildern zu profilieren.

In diesem Beitrag wird die Konzeption solcher Leitbilder kritisch durchleuchtet. Dazu wird zunächst der methodologische Status ethischer Begründungen erörtert. Dabei werden erhebliche Zweifel an der Allgemeinverbindlichkeit derartiger Begründungen erkennbar. Dann wird der methodologische Status der empirischen Werturteile, auf die sich „wirtschaftspolitische Leitbilder“ auch stützen diskutiert. Hier ergeben sich ebenfalls wohlbegründete Zweifel an der Allgemeinverbindlichkeit derartiger Werturteile. Wie sich dabei zeigt, kann man aber aus diesem „Mangel an Allgemeinverbindlichkeit“ interessanterweise ein recht gutes Argument für eine freiheitliche Verfassung von Gesellschaften ableiten. Im letzten Abschnitt werden diese allgemeinen Überlegungen dann am Beispiel des wirtschaftspolitischen Leitbildes der „Corporate Social Responsibilty“ konkretisiert.

2. Der Stoff aus dem die Ethiken sind

Es ist ein interessantes Phänomen: Sobald es um normative Probleme geht, steigt in der Regel das Interesse und die Aufmerksamkeit. Jeder fühlt sich angesprochen und möchte mitreden. Geht es dagegen eher um deskriptive Analysen oder theoretische Erklärungen, lässt die Aufmerksamkeit nach einer gewissen Zeit nach. Solche Themen werden gerne Experten überlassen. Normative Probleme scheinen etwas Besonderes zu sein – etwas das die Emotionen anspricht. Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass normative Probleme häufig das Zusammenleben von Menschen betreffen und deshalb für das Überleben von „Herdentieren“ wichtiger sind, als deskriptive Analysen über die Beschaffenheit der Umwelt. Zumindest dürfte dies die längste Zeit der Stammesgeschichte der Spezies Homo sapiens so gewesen sein.

Diese Vermutung legen jedenfalls auch Ergebnisse neurowissenschaftlicher Experimente nahe: Konfrontiert man Probanden mit ethischen Dilemmasituationen (z.B. „Würden Sie ein Menschenleben opfern, um das Leben mehrerer anderer Menschen zu retten?“) so sind es vor allem stammesgeschichtlich ältere Hirnregionen im „limbischen System“, die auch für die Entstehung von Emotionen zuständig sind, die starke Aktivitäten aufweisen. Menschen mit einer Schädigung des „präfrontalen Cortex“ entscheiden sich in ethischen Dilemmasituationen signifikant anders als Menschen ohne Schädigung dieses Hirnareals. Der „präfrontale Cortex“ ist eine Hirnregion, die aufgrund von Experimenten als eine Art Vermittler zwischen dem limbischem System und den für rationale Abwägungen zuständigen Bereichen der Großhirnrinde interpretiert wird. Während normale Menschen Probleme haben, einen unschuldigen Menschen durch direkte Gewaltanwendung zur Rettung einer größeren Gruppe von Menschen zu opfern, entscheiden Menschen, die aufgrund einer Schädigung des „präfrontalen Cortex“ von ihrem „limbischen System“ abgeschnitten sind, stets sehr „rational“ zugunsten der Rettung der größeren Zahl von Menschen (Koenigs, Damasio et al. (2007)). Die Autoren ziehen daraus den Schluss, dass Emotionen bei normalen Menschen einen messbaren kausalen Einfluss auf normative Entscheidungen haben.

Interessanterweise sind normative Probleme auch aus methodologischer Sicht ein Sonderfall. Während deskriptive Sätze, die etwa einen empirischen Kausalzusammenhang beschreiben, zumindest prinzipiell durch entsprechende Beobachtungen auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden können, ist dies bei normativen Sätzen („Sollenssätzen“) nicht möglich: Aus einem „Sein“ kann nicht ohne weiteres auf ein „Sollen“ geschlossen werden. Ein Sachverhalt, der explizit wohl erst von David Hume (1739) erkannt und beschrieben wurde. Damit stellt sich die Frage, wie denn Sollenssätze in irgend einer Form verbindlich – wenn möglich vielleicht sogar „allgemeinverbindlich“ – begründet werden können?

Viele Menschen leiten ihre ethischen Überzeugungen aus religiösen Überzeugungen ab. Religiöse Überzeugungen beruhen jedoch letztendlich immer auf „Glaubenssätzen“, die von Religion zu Religion sehr unterschiedlich sein können. Derart begründete ethische Überzeugungen können also kaum den Status allgemeiner Verbindlichkeit beanspruchen. Viele Philosophen sehen in der Abhängigkeit einer Begründung von Sätzen, die selbst wiederum begründet werden müssen, ein grundsätzliches Problem, das eine allgemeinverbindliche „Letztbegründung“ ethischer Normen ausschließt – das sogenannte „Begründungstrilemma“ der Ethik (Albert (1968)). Demnach läuft jeder Versuch einer Letztbegründung auf eine von drei Alternativen hinaus: unendlicher Regress, Zirkelschluss oder Abbruch (Abbildung 1).

 

Abbildung 1 – Das Begründungstrilemma der Ethik


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Ein Ausweg aus dem Begründungstrilemma resultiert nur, wenn man den Letztbegründungsanspruch aufgibt. Dann ist eine Entscheidung für die dritte Alternative möglich und der Begründungsprozess kann vorläufig abgebrochen werden, bis ein Argument oder Problem auftaucht, das eine Neuaufnahme oder Modifikation des Begründungsprozesses sinnvoll macht. Die aus diesem Prozess resultierende vorläufige Begründung kann dann aber natürlich keinen Anspruch auf „Allgemeinverbindlichkeit“ erheben.

Das Begründungstrilemma hilft zu verstehen, warum die lange Geschichte der Beschäftigung mit ethischen Fragen nicht zur Konvergenz einer Einheitsethik geführt hat, sondern zu einer sehr großen Anzahl höchst unterschiedlicher Ethiken (Abbildung 2). Eine Vielfalt, die eine schlichte Einteilung menschlichen Verhaltens in die Kategorien „ethisch“ und „unethisch“ ebenso problematisch erscheinen lässt, wie die Verwendung des Wortes „Ethik“ im Singular.

Abbildung 2 – Eine Auswahl unterschiedlicher Ethiken


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3. Die Lösung des Problems in freiheitlich verfassten Gesellschaften

Man kann diese Situation als problematisch ansehen, weil jede Ethik damit bestenfalls einen Anspruch auf subjektive Geltung beanspruchen kann. Man kann dieser Problemlage aber auch positive Aspekte abgewinnen, weil damit jeder Art von ethischem Fundamentalismus der methodologische Boden entzogen wird. Es lässt sich daraus sogar eine gute – wenn auch aus besagten Gründen keine allgemeinverbindliche – Begründung für ein Gesellschaftssystem sehen, das die Gewährung möglichst weitgehender individueller Entscheidungsfreiheit anstrebt.

Freiheitlich verfasste Gesellschaftsordnungen schreiben ihren Bürgern keine ethischen oder religiösen Bekenntnisse vor, sondern lösen das Problem der fehlenden Allgemeinverbindlichkeit normativer Werturteile durch die Gewährung individueller Freiheit. Diese Konzeption einer freiheitlich verfassten Gesellschaftsordnung ist in Deutschland in der Verfassung verankert. Der Grundrechtekanon (Artikel 1 bis 19 GG) gewährt mit Artikel 4 (1) GG „Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“. Jeder Bürger ist zur Gesetzestreue verpflichtet. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung zu einer bestimmten Religion oder Ethik gibt es nicht. Man darf aus der Fülle unterschiedlichster Weltanschauungen also frei wählen – solange man sich an die Gesetze hält. Und diese Gesetze dürfen die Grundrechte in ihrem Wesensgehalt nicht einschränken (Artikel 19 (2) GG).

Grundrechte haben den Status von Abwehrrechten der Bürger gegenüber der staatlichen Obrigkeit. Sie binden nach Artikel 1 (3) GG die drei Staatsgewalten „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung“. Mit anderen Worten: juristische Personen des öffentlichen Rechts, wie staatliche Verwaltungen, sind grundsätzlich nicht grundrechtsfähig. Sie können also weder Artikel 4 (1) „Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ noch Artikel 5 (3) „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“ für sich in Anspruch nehmen. Sie sind stattdessen dazu verpflichtet, im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung dafür zu sorgen, dass diese Grundrechte von den Staatsbürgern wahrgenommen werden können.

Das örtliche Finanzamt darf also ebenso wenig eine bestimmte Meinung zur „Kalten Progression“ in der Öffentlichkeit propagieren, wie das Polizeipräsidium seinen Standpunkt zum Problem der „Vorratsdatenspeicherung“. Und das gilt natürlich auch für staatliche Hochschulen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts müssen sich aufgrund von Artikel 1 (3) GG in weltanschaulicher Hinsicht neutral verhalten. Wenn sich eine staatliche Hochschule also ein „Leitbild“ oder gar ein „Mission Statement“ verschreibt, darf dieses lediglich die gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben enthalten – wie etwa „der Pflege und der Entwicklung der Wissenschaften und der Künste durch Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat“ zu dienen (LHG, Baden-Württemberg, § 2 (1)). Weltanschauliche Festlegungen auf bestimmte umwelt- oder sozialpolitische Zielvorstellungen sind nicht möglich. Diese stehen nur den Staatsbürgern als Grundrechtsträgern zu. Wenn sich eine Hochschule als Institution aus dem breiten Spektrum umwelt- oder sozialpolitischer Zielvorstellungen bestimmte Positionen herausgreift und diese zum Bestandteil ihres „Leitbildes“ erklärt, entsteht ein Zielkonflikt mit den Grundrechten der Staatsbürger, für die Hochschulen im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung zuständig sind. Hochschulen müssen in dieser Hinsicht sogar noch vorsichtiger sein, als andere juristische Personen des öffentlichen Rechts, weil das wissenschaftliche und künstlerische Personal von Hochschulen durch Artikel 5 (3) GG bei seiner Arbeit zusätzlich durch das Grundrecht der Freiheit von Lehre und Forschung geschützt wird.

4. Die empirischen Komponenten wirtschaftspolitischer Leitbilder

Ein weiteres Problem, das auftreten kann, wenn sich eine Hochschule ein „wirtschaftspolitisches Leitbild“ zulegt, resultiert aus dem Umstand, dass derartige Leitbilder in der Regel nicht nur normative sondern auch empirische Werturteile beinhalten. Während sich aus den normativen Werturteilen die Handlungsziele des jeweiligen Leitbildes ableiten, bilden die empirischen Werturteile die Grundlage für die Handlungsstrategien, die zum Erreichen dieser Ziele als notwendig erachtet werden.

Handlungsstrategien stützen sich zum einen auf empirische Daten, die den Zustand der Welt im relevanten Handlungsbereich beschreiben und zum anderen auf empirische Theorien, die Hypothesen enthalten über kausale Beziehungen zwischen Variablen, die man wirtschaftspolitisch beeinflussen kann (Instrumentenvariablen) und den Variablen, die man in den gewünschten Zielbereich steuern möchte (Zielvariablen). Abbildung 3 skizziert den Zusammenhang.

Abbildung 3 – Komponenten eines wirtschaftspolitischen Leitbildes


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Welche Daten und Theorien man einem Leitbild zugrunde legt, ist deshalb wiederum letztlich eine Frage von Werturteilen – empirischen Werturteilen. Zwar könnte man aus erkenntnistheoretischer Sicht argumentieren, dass es nur eine empirische Realität geben kann, so dass folglich auch nur ein ganz bestimmter Satz von empirischen Daten diese Realität korrekt beschreibt und nur eine ganz bestimmte empirische Theorie zu einem bestimmten Zeitpunkt den durch Erfahrung und Experimente ermittelten höchsten empirischen Bewährungsgrad besitzen kann. Die wissenschaftliche Praxis zeigt aber, dass es in der Regel sehr schwer ist, über solche Fragen, selbst in einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern einen Konsens zu erzielen. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Diese reichen von erkenntnistheoretischen Extrempositionen, die Zweifel an der Existenz einer vom menschlichen Bewusstsein unabhängigen Realität haben (etwa bestimmte Varianten des Solipsismus, Konstruktivismus oder Idealismus) bis hin zu eher praktischen erfahrungswissenschaftlichen Problemen, wie etwa die Abhängigkeit eines Beobachtungssatzes von der damit zu überprüfenden Theorie. Häufig sind deshalb nicht nur der Bewährungsgrad von Theorien strittig, sondern auch die Beobachtungsdaten selbst.

Der Diskurs über Beobachtungsdaten und den Bewährungsgrad empirischer Theorien gehört deshalb zum Hauptbetätigungsfeld der Erfahrungswissenschaften. Datenerhebung durch Beobachtung oder Experimente und die Bewertung der empirischen Erklärungskraft von Theorien vor dem Hintergrund dieser Daten erfordert die Freiheit des Forschers zum eigenen Urteil ebenso wie die Freiheit des argumentativen Wettbewerbs zwischen verschiedenen Forschern und Denkschulen. Empirische Wissenschaft ist ein dynamischer Versuch-und-Irrtums-Prozess, bei dem das Lernen aus Fehlern Schrittmacher des Erfolgs ist. Wenn eine Hochschule als Institution (und nicht als vielstimmiger Chor der Einzelmeinungen der Hochschulmitglieder) in diesen Prozess eingreift und dabei bestimmten empirischen Werturteilen der Vorzug gegenüber anderen eingeräumt, wird dieser Prozess erheblich gestört wenn nicht gar blockiert. Darin liegt die erkenntnistheoretische Begründung des Prinzips der Freiheit von Lehre und Forschung.

5. Konkretes Beispiel: Das Leitbild der „Corporate Social Responsibility“

Im Folgenden soll die Problematik anhand eines konkreten Beispiels – dem Leitbild der „Corporate Social Responsibility“ (CSR) – verdeutlicht werden. Unter CSR wird dabei „echte CSR“ und keine „strategische CSR“ verstanden. „Echte CSR“ bezeichnet die Bereitschaft eines Unternehmens, zugunsten sozial- und umweltpolitischer Ziele auf ökonomischen Gewinn zu verzichten. Dies entspricht der Definition, die auch von McWilliams, Siegel und Wright (2006) vertreten wird („we define CSR as situations where the firm goes beyond compliance and engages in actions that appear to further some social good, beyond the interests of the firm and that which is required by law“). Sie deckt sich im Prinzip auch mit der von Elkington (1999) vorgeschlagenen Konzeption einer CSR, wonach Unternehmen nicht nur einen ökonomischen Ertrag anstreben, sondern auch freiwillig sozial- und umweltpolitische Ziele verfolgen sollen.

Man kann natürlich mit einiger Berechtigung die Frage aufwerfen, warum eine Hochschule sich ausgerechnet einem unternehmenspolitischen Leitbild wie der echten CSR verschreiben sollte? Tatsache ist aber, dass z.B. die sogenannten „Principles of Responsible Mangement Education“ (PRME) ein solches Leitbild enthalten und seine Verankerung in den Curricula erfordern. Bislang haben weltweit rund 600 Hochschulen die PRME unterschrieben. Welche normativen und empirischen Werturteile müssen diese Hochschulen in ihren Curricula verankern, wenn sie ihre PRME-Verpflichtung tatsächlich ernst nehmen?

Zum einen impliziert die Befürwortung echter CSR das normative Werturteil, dass Unternehmen die Verpflichtung haben, auf den maximal möglichen Gewinn zu verzichten und sich stattdessen zugunsten umwelt- und sozialpolitischer Zielsetzungen, mit weniger zufrieden geben sollen. Zum anderen impliziert die Befürwortung echter CSR, dass sie unter den derzeit vorherrschenden marktwirtschaftlichen Bedingungen tatsächlich praktikabel ist. Sicherlich sind noch weitere Werturteile involviert – wie z.B., dass Unternehmen in der Lage sind, die von der Gesellschaft gewünschten umwelt- und sozialpolitischen Zielsetzungen zu erkennen und, dass sie organisatorisch dazu in der Lage sind, solche Ziele auch effektiv umzusetzen. Die Diskussion soll im Folgenden jedoch auf die ersten beiden Werturteile beschränkt werden. Wie sich zeigen wird, reicht dies bereits aus, um die Fragwürdigkeit der Übernahme eines solchen „Leitbildes“ durch eine staatliche Hochschule zu verdeutlichen.

Die Idee, dass Unternehmen zugunsten umwelt- und sozialpolitischer Zielsetzungen auf Gewinn verzichten sollen, wird häufig damit begründet, dass Unternehmen etwas an „die Gesellschaft zurückgeben sollen“. Streng genommen kann man aber nur etwas zurückgeben, was man vorher genommen hat. Ob Unternehmen durch ihre Aktivitäten, der Gesellschaft etwas nehmen oder etwas geben, hängt von der Theorie ab, mit der man die Aktivitäten von Unternehmen interpretiert. Legt man die auf Ronald Coase (1937) zurückgehende Unternehmenstheorie zugrunde, so entstehen Firmen, weil sie in der Lage sind, die Produktion von Gütern zu geringeren Transaktionskosten zu organisieren, als bei der dezentralen Organisation des Produktionsprozesses durch bilaterale Verträge. Nach dieser Theorie helfen Unternehmen also, den Produktionsprozess kostengünstiger zu organisieren. Sie schaffen dadurch also einen Mehrwert, der zwischen den Eigentümern des Unternehmens und seinen Kooperationspartnern verteilt werden kann.

Empirisch wird der Mehrwert, der durch die Produktion eines Unternehmens entsteht, durch die Differenz zwischen den Unternehmensumsätzen (plus Eigenproduktion plus Lagerbestandveränderung) und den Vorleistungsbezügen von Gütern und Dienstleistungen anderer Unternehmen gemessen. Er wird in der deutschen Statistik als „Bruttowertschöpfung“ bezeichnet. Abbildung 4 zeigt die Verteilung der Bruttowertschöpfung des Produzierenden Gewerbes (= Bergbau, Verarbeitendes Gewerbe, Energie- und Wasserversorgung, Baugewerbe sowie die Betriebe des produzierenden Handwerks). Danach entsprechen Nettobetriebsüberschuss & Selbstständigeneinkommen (= Unternehmensgewinne + netto von Unternehmen geleistete Vermögenseinkommen) 13,1 Prozent der von den Unternehmen insgesamt erzeugten Bruttowertschöpfung. 67,2 Prozent der Bruttowertschöpfung fließen den Arbeitnehmern zu (Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit). 9,4 Prozent entsprechen dem Verschleiß an Produktionsanlagen. Sie müssen reinvestiert werden, wenn der Kapitalstock des Unternehmens konstant bleiben soll. 10,4 Prozent der Bruttowertschöpfung fließen dem Staat zu. Neben diesen indirekten Steuern fließen dem Staat aber auch noch direkte Steuern aus der Besteuerung der Einkommen aus Nettobetriebsüberschuss & Selbstständigeneinkommen und unselbständiger Arbeit zu, die in Abbildung 4 nicht explizit ausgewiesen sind.

 

Abbildung 4 – Verteilung der Bruttowertschöpfung im Produzierenden Gewerbe


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Abbildung 5 zeigt die Verteilung der gesamten in Deutschland erstellten Bruttowertschöpfung – dem Bruttoinlandsprodukt. Der Anteil aus Nettobetriebsüberschuss & Selbstständigeneinkommen ist hier mit 21,5 Prozent deutlich größer. Die ebenfalls höheren Abschreibungen sprechen dafür, dass die Kapitalintensität der Produktion in der Wirtschaft insgesamt höher ist als im Produzierenden Gewerbe alleine. Leider werden von der amtlichen Statistik keine sektorspezifischen Kapitalstöcke ausgewiesen, so dass die Kapitalrenditen (Nettobetriebsüberschuss & Selbstständigeneinkommen in Prozent des Kapitalstocks) nicht verglichen werden können.

Abbildung 5 – Verteilung des Bruttoinlandsproduktes

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Natürlich kann man vor dem Hintergrund dieser Zahlen das normative Werturteil vertreten, dass der Anteil der Unternehmen an der Bruttowertschöpfung zu hoch ist und zugunsten der abhängig Beschäftigen, des Staates oder zugunsten einer eigenständigen CSR-motivierten Sozial- und Umweltpolitik der Unternehmen gesenkt werden sollte. Man kann aber angesichts dieser Größenordnungen sicherlich auch argumentieren, dass die von den Unternehmen organisierte Wertschöpfung und die davon generierten Einkommen bereits einen ausreichenden Beitrag zur Finanzierung von Sozial- und Umweltpolitik leisten. Es gibt keinen „objektiv-allgemeinverbindlichen“ Wertmaßstab, der sagt, welche Aufteilung der Bruttowertschöpfung die richtige ist. Es gibt vielmehr eine kontinuierliche Skala von Werten – also unendlich viele Werte – zwischen denen man sich letztlich aufgrund persönlicher Präferenzen irgendwie entscheiden muss. Hier zeigt sich also das oben angesprochene „Begründungstrilemma der Ethik“ an einem konkreten Beispiel.

In freiheitlich verfassten Gesellschaften werden Entscheidungen, die die Besteuerung von Unternehmen betreffen, von Parlamenten gefasst und in Gesetze gegossen. Staatsbürger müssen sich an diese Gesetze halten, dürfen sich aber öffentlich für die Änderung von Gesetzen einsetzen – solange es sich nicht um Gesetze handelt, die von der Verfassung gegen Veränderungen geschützt werden, weil sie konstituierend für die Verfassung sind. Staatliche Hochschulen, sind Teil der Exekutive und dürfen als Institution nicht in diesen Meinungsbildungsprozess eingreifen. Sie sind im Gegensatz zu den Staatsbürgern, die an staatlichen Hochschulen arbeiten, nicht grundrechtsfähig. Wenn sich eine staatliche Hochschule öffentlich darauf festlegt, dass der oben beschriebene Anteil „Nettobetriebsüberschuss & Selbstständigeneinkommen“ am BIP zu klein oder zu groß ist, entsteht dadurch ein potentieller Konflikt gegenüber Mitarbeitern, die in dieser Frage eine andere Meinung vertreten möchten unter Rückgriff auf ihre durch Artikel 4 (1) und Artikel 5 (3) garantierten Grundrechte. Da Hochschulen ihrer eigentlichen Aufgabe, der Organisation von Forschung und Lehre, nachkommen können, ohne dass sie in Bezug auf die Einkommensverteilung eine bestimmte politische Position propagieren müssen, liegt hier auch kein Zielkonflikt zwischen verschiedenen Grundrechten vor, der Hochschulen eventuell berechtigen würde, die in Artikel 4 (1) und Artikel 5 (3) garantierten Grundrechte in irgendeiner Form einzuschränken.

Neben der normativen Frage, ob Unternehmen echte CSR praktizieren sollen, stellt sich aus erfahrungswissenschaftlicher Sicht natürlich auch die Frage, ob Unternehmen unter den vorherrschenden marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen CSR praktizieren können. Unter den Annahmen der neoklassischen Kapitalmarkttheorie können bei vollkommenem Wettbewerb nur die Unternehmen Kapitalgeber finden, die eine Eigenkapitalverzinsung erwirtschaften, die mindestens so hoch ist wie die der Konkurrenz. Fällt die Eigenkapitalverzinsung unter die marktübliche Eigenkapitalverzinsung, weil ein Unternehmen, einen relativ größeren Anteil seines Ertrages als andere Unternehmen für Zwecke des Umweltschutzes oder der Sozialpolitik verwendet, sinkt sein Marktwert unter den Wiederbeschaffungswert der Vermögensgegenstände. „Tobin’s Q“ wäre somit kleiner 1 (Tobin (1969)). Damit bestünde also ein Anreiz, das Unternehmen zum Marktwert zu kaufen und es zu dem höheren Substanzwert seiner Einzelteile zu verkaufen („Asset Stripping“).

Ein ähnlicher Mechanismus resultiert auch, wenn ein Unternehmen nicht unter den Bedingungen vollkommenen Wettbewerbs operiert. Besitzt ein Unternehmen z.B. monopolistische Marktmacht, weil es Güter oder Dienstleistungen produziert, bei denen es einen nichtbestreitbaren Preisaufschlag auf die Herstellungskosten durchsetzen kann, der höher ist als der der Konkurrenz, steigt auch seine Eigenkapitalrendite über die der Konkurrenz. Auf den ersten Blick erscheint es nun möglich, dass die Differenz zwischen der Eigenkapitalrendite des Unternehmens und der marktüblichen Eigenkapitalrendite zur Finanzierung von freiwilligen sozial- und umweltpolitischen Aktivitäten genutzt werden kann. Dieser Anschein trügt jedoch. Denn in diesem Fall würde die Eigenkapitalrendite des Unternehmens sinken und bei effizienten Kapitalmärkten damit auch sein tatsächlicher Marktwert unter den potentiellen Marktwert fallen. Es wäre also rentabel, das Unternehmen zu dem niedrigen Marktwert zu übernehmen, das Management bzw. die CSR-Konzeption auszutauschen, so dass die Eigenkapitalrendite des Unternehmens und der Marktwert wieder steigen und das Unternehmen dann zum höheren Marktwert zu verkaufen.

Vom Standpunkt der neoklassischen Kapitalmarkttheorie können Unternehmen, die sich über Kapitalmärkte finanzieren müssen, also nicht dauerhaft echte CSR betreiben. Natürlich kann man aus theoretischer wie empirischer Sicht die neoklassische Kapitalmarkttheorie in Frage stellen. Kritik an ihren Rationalitätsannahmen kann ebenso mit guten Gründen vorgebracht werden wie Kritik an der Vernachlässigung von Transaktionskosten u.Ä. Allerdings könnte es sein, dass der oben beschriebene Mechanismus auch bei nicht vollständig rationalem Verhalten der Akteure und bei Existenz von Transaktionskosten in Gang kommen kann. Letztlich ist dies eine empirische Frage.

Schaut man auf das Geschehen an realen Kapitalmärkten so findet man durchaus ernstzunehmende Hinweise dafür, dass der Übernahmemechanismus der neoklassischen Kapitalmarkttheorie auch in der Praxis vorkommt. So kam es beispielsweise in den 80er Jahren zu einigen spektakulären feindlichen Übernahmen. Eine der bekanntesten dürfte wohl die Übernahme der amerikanischen Fluggesellschaft TWA durch den als „Corporate Raider“ bekannten Investor Carl Icahn sein. TWA war Ende der 70er Jahre durch Managementfehler und die Deregulierung des amerikanischen Flugpassagiermarktes in finanzielle Schwierigkeiten geraten (Grant (2006)). Icahn nutzte den niedrigen Aktienpreis, um in das Unternehmen einzusteigen. Entgegen seinem Versprechen, das Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen, praktizierte Icahn ein radikales „Asset Stripping“. Eine ganze Reihe anderer Investoren engagierten sich in den 80er Jahren in ähnlicher Weise im Übernahmegeschäft, – finanziert mit Anlegerfunds, die speziell zu diesem Zweck aufgelegt wurden. In den 90er Jahren ebbte die Übernahmewelle ab. Ein wesentlicher Grund dafür war der Aktienmarktboom, der den Preis von Unternehmen in Relation zum Marktwert ihrer Vermögensaktiva stark verteuerte.

Gegen Ende der 90er Jahre wurde dann ein neuer Typ von Investment-Strategie bekannt, mit der unrentable Aktiengesellschaften unter Druck gesetzt werden: sogenannte „Activist Investment Funds“. Bei dieser Strategie werden Unternehmen nicht komplett übernommen, sondern lediglich Aktienanteile knapp unter der meldepflichtigen Schwelle von 5 % erworben. Durch öffentlichkeitswirksame Aktionen (Propagierung von Verbesserungsvorschlägen über Pressarbeit und Internet-Plattformen, öffentliche Brandbriefe an das Management, Anträge auf Aktionärsversammlungen, Organisation von Aktionärsinteressen, Kumulation von Vertretungsstimmrechten („Proxy Fights“), Drohung mit Gerichtsverfahren und schließlich Verhandlungen mit dem Management) wird dann versucht, die Profitabilität des Unternehmens zu erhöhen. Gelingt dies, so steigt der Aktienkurs des Unternehmens und damit der Gewinn des Activist Investment Funds.

Untersuchungen der Zeitschrift „The Economist“ zur Folge haben rund 50% aller Aktiengesellschaften des S&P 500 Index in der Zeit von 2009 bis 2014 mindestens einen Activist Investment Fund in ihrem Aktienregister verzeichnet. 15% der S&P 500 Unternehmen standen im gleichen Zeitraum unter dem Druck einer öffentlichen Activist Investor Kampagne (The Economist (2014)). Der Kapitalzufluss zu Activist Investmentfunds ist beachtlich und anhaltend (Abbildung 6).

Abbildung 6 – Activist Investment Funds: Performance und Kapitalzufluss

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Es lässt sich also mit guten theoretischen und empirischen Gründen bezweifeln, ob Unternehmen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen tatsächlich auf freiwilliger Basis echte CSR praktizieren können. Steigen die Ausgaben für CSR-Aktivitäten über das normale Marketingbudget für Öffentlichkeitsarbeit und Sponsoring, drohen Interventionen durch Activist Investment Funds (vgl. dazu ausführlicher Maurer (2015, S. 58 – 65)). Wie stark der Druck ist, dem selbst große Markenartikler mit ausgeprägtem monopolistischem Preissetzungsspielraum und soliden Finanzreserven ausgesetzt sind, zeigt das Beispiel Apple Inc.

Wenn sich eine staatliche Hochschule also dem Leitbild der CSR verschreibt, impliziert dies nicht nur das normative Werturteil, dass der normale am Markt erzielbare Anteil der Unternehmensgewinne an der Wertschöpfung des Unternehmens zu hoch ist und durch CSR zugunsten von Umwelt- und Sozialpolitik gesenkt werden sollte, sondern auch das empirische Werturteil, dass echte CSR unter den vorherrschenden marktwirtschaftlichen Bedingungen tatsächlich praktikabel ist. Die empirische Geltung der neoklassischen Kapitalmarkttheorie, muss damit also von der Hochschule implizit bestritten werden. Die Hochschule greift damit also als Institution in den erfahrungswissenschaftlichen Diskurs über Beobachtungsdaten und den Bewährungsgrad empirischer Theorien ein. Sie begibt sich damit ohne Notwendigkeit in einen potentiellen Konflikt gegenüber Mitarbeitern, die in dieser Frage eine andere Meinung unter Rückgriff auf ihre in Artikel 4 (1) und Artikel 5 (3) garantierten Grundrechte vertreten möchten. Das Problem verschärft sich dann noch, wenn die Hochschule mit der Unterzeichnung eines Ethik-Kodexes wie den PRME, die Verpflichtung eingeht, das CSR-Leitbild in den Curricula zu verankern (Der PRME-Kodex verlangt jedoch nicht nur die Verankerung eines CSR-Leitbildes in den Curricula sondern darüber hinaus auch die Verankerung des Leitbildes einer „nachhaltigen Entwicklung“. Eine Diskussion der Problematik dieses Leitbildes findet sich in Maurer (2015, S. 25 – 40)).

Das Beispiel der CSR verdeutlicht die Fragwürdigkeit der Übernahme eines wirtschaftspolitischen Leitbildes durch eine staatliche Hochschule. Die eigentliche gesetzliche Aufgabe von Hochschulen liegt in der Organisation von Forschung und Lehre – der Plattformen auf denen der normative und erfahrungswissenschaftliche Diskurs der Hochschulmitglieder stattfindet. Um dieser Aufgabe nachzukommen, ist es nicht notwendig, dass eine Hochschule als Institution bestimmte wirtschaftspolitische Positionen propagiert. Es kann deshalb auch kein Zielkonflikt zwischen verschiedenen Grundrechten vorliegen, der Hochschulen berechtigen könnte, die in Artikel 4 (1) und Artikel 5 (3) garantierten Grundrechte in irgendeiner Form einzuschränken. Hochschulen benötigen nicht nur keine wirtschaftspolitischen Leitbilder – Hochschulen werden an der Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgaben durch derartige Leitbilder behindert.

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